Haeppchenweise
ist. Auf dem Weg dorthin lerne ich das gesamte Klinikum kennen, bis ich endlich die Tür mit der Nummer 478 finde.
Im Gang steht ein Servierwagen, von dem der Geruch nach lauwarmen Würstchen ausströmt. Aus dem Zimmer dringen erregte Stimmen, eine davon gehört zweifelsfrei Julius. Jemand öffnet von innen die Tür, ehe ich die Klinke herunterdrücken kann. Der Gesichtsausdruck der Krankenschwester spricht Bände.
„Stehen Sie nicht rum wie eine abgelaufene Parkuhr! Bringen Sie das Hundefutter aus meinen Augen!“, dröhnt es. Die dralle Blondine rollt mit den Augäpfeln und rauscht tablettklappernd und erhobenen Doppelkinns an mir vorbei.
Ich spähe um die Ecke. Der winzige Raum wird von dem Krankenbett fast vollständig ausgefüllt. Julius sitzt hoch aufgerichtet darin und spuckt Gift und Galle, während eine jüngere Ausgabe der Schwester am Boden kniet und mit hochrotem Kopf eine grau-braune Masse aufwischt.
„Du scheinst dich ganz zu Hause zu fühlen.“ Ich lehne mich mit verschränkten Armen an den Türrahmen.
Julius trägt ein Feinrippunterhemd, aus dem sommersprossige Oberarme herausragen, denen sich gebräunte Unterarme anschließen. In seiner Armbeuge erspähe ich eine Tätowierung, die eine unbestimmte Erinnerung in mir weckt. Als ob Julius meine Gedanken erraten hätte, dreht er seinen Oberkörper seitwärts und die verblasste Zeichnung verschwindet aus meinem Blickfeld. Die Schwester erhebt sich und sieht mich verzweifelt an.
„Wagen Sie es nie wieder, mir eine derartige Beleidigung vorzusetzen!“
Julius würdigt mich keines Blickes, was mir durchaus gelegen kommt. Während der Fahrt hat sich meine Entrüstung in kalte Wut verwandelt.
„Entspricht das Mahl nicht den Ansprüchen der Herrschaft?“
Mein spöttischer Ton besitzt die erwünschte Wirkung: Er funkelt mich böse an.
„Hast du mir genießbares Essen mitgebracht?“
„Bestell dir doch beim Starcooks ein paar Shrimps, du Judas!“, lächle ich freundlich. Sein faltiges Gesicht verzieht sich. Die Krankenschwester murmelt eine Entschuldigung und ergreift die Flucht.
„Setz dich, Katta.“
Ich rühre mich nicht vom Fleck. Julius verlagert sein Gewicht auf die andere Pobacke und setzt milder hinzu: „Bitte.“
Zögernd betrete ich das Krankenzimmer und setze mich auf den Besucherstuhl an der Wandseite. Er mustert mich schweigend. Ich starre angriffslustig zurück.
„Du weißt es.“
Ich nicke knapp.
„Und jetzt suchst du einen Schuldigen für die Realität des Geschäftslebens“, sagt er nüchtern.
Ich beiße mir auf die Lippen und hebe das Kinn.
„Ich möchte dir eine Geschichte erzählen.“ Etwas wie Belustigung flackert in seinen Augen auf.
Nur zu. Ich bohre meinen Blick in seine Brust.
„In Bayern erzählt man sich eine Anekdote über eine Gasse in München. Da gab es vier Bäckereien, die mächtig um Kundschaft stritten. Eines Tages hängte einer der Bäcker ein Schild in die Eingangstür, auf dem stand: Das feinste Backwerk der ganzen Stadt. Das ließ der Zweite natürlich nicht auf sich sitzen und antwortete: Die köstlichsten Backwaren Deutschlands! Nummer Drei hielt mit: die leckersten Backwaren der Welt! dagegen. Das alles beeindruckte den Vierten nicht besonders. Er pinselte auf seine Ladentür: Hier erhalten Sie die besten Backwaren in dieser Straße. “
Ich schnaube verächtlich. Kochlöffelweisheiten für Arme.
„Katharina. Verstehst du, was ich dir sagen will?“
Mit meinem Vornamen hat er mich noch nie angesprochen. Meist vermeidet er die direkte Anrede oder beschränkt sich auf die Kurzform. Manchmal nennt er mich „Madame“ oder „Fräulein Lehner“. „Blöde Ziege“ war auch schon dabei. Ich zucke die Schulter.
„Wir können nicht besser als Mats Jørgensen sein. Du liegst im Krankenhaus und dem Cook & Chill bleiben eine taube Spülerin, eine Küchenhilfe mit Liebeskummer und eine Inhaberin ohne Kochausbildung. Dieser Kerl lockt meine Schüler mit Fernsehauftritten und kocht mich – nebenbei übrigens – mit seinen Sternen in Grund und Boden.“
„Das tut er allerdings.“
„Wozu also das Ganze?!“ Allmählich kehrt mein Zorn zurück, Münchner Biergartengeschichten hin oder her.
„Du sollst dich ja auch nicht mit seiner Kochkunst messen“, lächelt Julius.
„Womit dann?! Soll ich aus dem Kochbuchladen ein Massage-Studio machen?!“
Sein Lachen geht in trockenes Husten über, der mit einem gequälten Aufschrei endet. Unwillkürlich springe ich vom Stuhl auf und lasse
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