Haertetest
auf »Bullenschweine« schmeißen, und unter der Woche gibt’s dann Ravioli aus der Dose für die Kinder im Bauwagen. Eine mir fremde Welt tat sich da auf. Zumindest, was das Steineschmeißen betraf. Davon hielt ich mich fern. Ravioli aus der Dose, muss ich gestehen, gab es bei uns auch manchmal.
Von außen war das Gebäude braun und nicht besonders gut renoviert. Das Treppenhaus roch lecker nach der Dönerbude von nebenan, bei der wir uns mittags immer eindeckten, und die Stufen waren mit billigem PVC ausgelegt. Wir belegten eine ehemalige Anwaltskanzlei im dritten Stock. Ohne Fahrstuhl.
Die Redaktion war in fünf Räume aufgeteilt. Betrat man den Flur, stand man als Erstes vor den Toiletten. Rechts davon sah man auf die Anmeldung, die selten besetzt war, weil unsere Empfangsdame Nicole ständig bei Frank vom Marketing herumsaß und mit ihren immens dick getuschten Wimpern klimperte. Da uns selten jemand besuchte und sie deswegen auch nie aufflog, konnte es nun nicht mehr lange dauern, bis sie mit Frank zusammen war. Er war einer der beiden Männer, die bei uns arbeiteten, und da er sich vor Kurzem von seiner langjährigen Freundin getrennt hatte, wurde er nun von allen Seiten angeschmachtet. Wir anderen mussten aber im Gegensatz zu Nicole wirklich arbeiten oder waren glücklich vergeben – oder zumindest vergeben – oder hatten Kinder und deswegen nicht mehr den Elan, uns auf Franks Schreibtisch zu räkeln.
Rechts vom Flur waren Marketing und Verwaltung, Werbung und Layout untergebracht. Die Zeitschrift erschien einmal im Monat und hatte sich seit ihrer Entwicklung vor zwölf Jahren dermaßen etabliert, dass sie 450 000 Leser monatlich erreichte. Das war schon eine ganze Menge. Es gab nur eine Elternzeitschrift, die noch beliebter war als Mütter. Kinder & Co. machte uns harte Konkurrenz. Vor knapp einem Jahr hatte dort die Chefredakteurin gewechselt, und die Kollegen schrieben meistens über interessantere Themen als wir. Ich musste gestehen, dass ich lieber die Konkurrenz las als unsere eigenen Artikel. Es lag nicht an der Themenauswahl, die war korrekt, aber unsere Art der Präsentation hätte ein kleines bisschen moderner sein können. Ehrlich, wen interessierten schon Rezepte für Kürbissuppe und Familienreisen in den Schwarzwald? Es wunderte mich jedenfalls nicht, dass Kinder & Co. auf dem freien Markt die Nase vorn hatte.
Vor drei Jahren hatte es unsere Konkurrenz noch gar nicht gegeben, also hatte ich mich mit einem kleinen Artikel bei Mütter beworben und in der Kategorie »Mütter, die auch Menschen sind« prompt einen lustigen kleinen Preis gewonnen. Seitdem arbeitete ich dort als freie Mitarbeiterin.
Ein Jahr lang schrieb ich nun schon eine monatliche Kolumne im Stil einer Glosse namens »Sophies Welt« über mein Leben mit Kind. Zusätzlich lieferte ich jeden Monat mindestens zwei Artikel. Seit Majas drittem Geburtstag vor anderthalb Jahren war ich auch noch montags, dienstags und mittwochs fester Bestandteil der Mütter -Redaktion hier im Büro.
Meine Themen wurden eigentlich immer angenommen, und ich liebte es zu schreiben. Ich tat mich nur manchmal schwer mit dem »braven« Stil, den meine Chefredakteurin verlangte. Nur in meiner Kolumne durfte ich meinem eigenen Stil entsprechend über das Leben mit Maja so lebensnah und lustig wie möglich berichten.
Heute aber war mein Kopf so leer wie der weiße Bildschirm, und mein aktuelles Thema »Zehn Dinge, die Kinderaugen an Weihnachten zum Leuchten bringen« entriss meinen Synapsen keine knackige Überschrift. Nicht mal eine schwarzweiße. Vielmehr wehten dornige Sträucher durch die Wüstenei meines leeren Gehirns, und von weit her drang »Spiel mir das Lied vom Tod«.
Ich sah aus dem Fenster. Die Blätter der Ahornbäume hatten eine orange-rote Färbung angenommen, Laub sammelte sich in kleinen Häufchen auf den Bürgersteigen, und es regnete ausnahmsweise gerade mal nicht.
Vier meiner Kolleginnen, Tanja, Bianca, Jojo und Katja, taten das Gleiche wie ich. Kollektiv starrten wir auf unsere Bildschirme oder aus dem Fenster, pusteten in unsere Becher, tranken Kaffee und seufzten tief.
Ich mochte die Redakteurinnen, wir waren mehr oder weniger befreundet. Mittags gingen wir gemeinsam Kaffee trinken oder zum Schulterblatt essen und löffelten dort unseren Latte macchiato.
Ich liebte Hamburg. Oft hörte man hier andere Sprachen, sogar hier im Schanzenviertel spürte man, dass »wir« Großstadt waren. Wir sind
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