Haertetest
straßenköterfarbenen Fusseln nach hinten und murmelte ironisch: »Meine Haare liegen heute auch wirklich supi!«
»Wie bitte?«, hörte ich eine Stimme neben mir und schrak zusammen.
»Huch? Äh, wie bitte?«, echote ich. Meine Chefin, Amelie Winter, stand neben mir. Da ich ja heute auch neben mir stand, konnten wir uns dort die Hand reichen. Normalerweise saß sie in einem Glaskäfig am anderen Ende der Redaktion, telefonierte und gestikulierte. Von dort konnte sie uns alle gleichzeitig böse anfunkeln, vorausgesetzt, es waren mal alle festen und freien Mitarbeiterinnen anwesend und saßen nicht Händchen haltend und Tee reichend an den Betten ihrer kotzenden Kinder. Ich war ihren Anblick mitten in der Redaktion und sogar mitten im Flur, gar nicht gewöhnt und reagierte entsprechend erschrocken. Mit »Wie bitte?« meinte sie wohl mein dümmliches Selbstgespräch vor dem Spiegel, wie peinlich!
»Ach, nicht wichtig«, nuschelte ich, winkte ab und wurde rot. Hilfe, war ich unsicher. Das lag wohl vor allem daran, dass ich endlich mal einen längeren Blick in einen Spiegel riskiert hatte. Gegen mein Aussehen musste ich dringend was unternehmen.
»Sophie, ich möchte dich gerne um zwölf bei mir im Büro sprechen. Es geht um etwas Dringendes. Den Weihnachtsartikel kannst du dann gleich mitbringen.«
Ich nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf, was mit Sicherheit völlig bescheuert aussah.
Den Weihnachtsartikel? Ach ja. Das war der, den ich gerade zu schreiben versuchte.
»Ähm, das, äh ja, also, klar.«
»Prima.«
Amelie lächelte mich an, tätschelte meinen Arm und stakste auf ihren Zehn-Zentimeter-High-Heels davon.
Dann war sie wieder Richtung Gorillakäfig verschwunden, nur noch ihr schweres, vanilliges Parfüm klebte in der Luft und deutete darauf hin, dass sie sich eben von ihrem Olymp herab zu den menschlichen Wesen gesellt und mit mir gesprochen hatte.
O nein, der Artikel! Jetzt musste ich aber wirklich mal einen Zahn zulegen. Bis um zwölf blieben mir nun gerade noch zwei Stunden. Zum Glück sprang unter Zeitdruck bei mir immer irgendein Notstrom-Aggregat an. So auch heute. Ich hastete an meinen Platz, schob das gröbste Chaos zur Seite, um an meine Tastatur zu gelangen, ohne mir die Handgelenke auszurenken, und fing an zu schreiben. Von irgendwoher aus den Weiten des Universums funkte ein Geistesblitz direkt vor mein inneres Auge – okay, vielleicht grenzwertig und etwas extravagant, aber es könnte funktionieren. Ich konnte nur hoffen, dass Amelie auch begeistert war und das konservative Blatt es auch druckte.
Ihr Kinderlein kommet – Lasst die Kinder Kinder sein!
Ja, so würde ich es versuchen. Ich stellte mir vor, wie Maja sich fühlte, wenn ich sie mit schokoladebeschmierten Fingern auf unserem weißen Sofa herumhopsen ließe, so lange sie wollte … Das wäre schon mal ein Garant und damit Punkt eins für leuchtende Kinderaugen. Und für die Mami ein Grund, endlich mal das weiße Sofa wieder sauber zu machen oder gleich ein neues zu kaufen. Wer ist schon so doof und kauft sich ein weißes Sofa, wenn er Kinder hat?
Punkt zwei: sich beim Plätzchenbacken selbst mit Mehl und mit Zuckerstreuseln bestreuen und alles auch noch nach Herzenslust auf Fußboden und Küchentisch verteilen – das sorgte garantiert für ein höher schlagendes Kinderherz. Und sauber machen musste man hinterher ja sowieso. Küche und Kind, wie jede Mutter weiß.
Als ich mit Punkt drei fertig war – aus zerknülltem Geschenkpapier einen riesigen Berg bauen und nackig darin herumspringen –, war ich so weit drin, dass sich der Rest des Artikels fast wie von selbst schrieb. Ich verband alle beschriebenen Aktionen mit Haushaltstipps, die ich im Internet googelte. Wie man zum Beispiel Schokolade aus einem weißen Polster bekam. Dass man aus Mehl und Wasser auch Kleber herstellen konnte, falls man sonntags basteln wollte und keinen Klebstoff mehr im Haus hatte. Und dass Geschenkpapierrecycling der neueste Schrei und auch noch umweltschonend war.
Im Hinterkopf klopfte aber immer noch ein kleiner, aufdringlicher Gedanke, den ich bis zum Gespräch mit Amelie in Schach halten musste. Was war bloß das wahnsinnig Dringende, das sie mit mir besprechen wollte? Es ging doch nicht um den Weihnachtsartikel. Hatte sie etwas an mir auszusetzen? Während ich tippte, überlegte ich, wann ich mir etwas hatte zuschulden kommen lassen. Mir fiel nichts ein. Ich war meistens pünktlich, lieferte ordentliche Arbeit ab und
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