Haertetest
seinen Ehering gesehen hätte. Das war jetzt genau acht Wochen her. Und er hatte immer noch nicht danach gefragt.
Kurz nachdem Jessica bei ihm angefangen hatte, lag der Ring auf einmal auf dem Tischchen, dann in der Schublade. Ich hatte natürlich nicht absichtlich dort gestöbert, das würde ich nie tun, sondern lediglich nach Taschentüchern gesucht. Aber es gab sicher keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
Was mich allerdings doch ziemlich beunruhigte, wenn ich ehrlich war, war die Tatsache, dass er normalerweise nie etwas von anderen Frauen erzählte. Und natürlich gab es im Theater jede Menge hübsche Malsaalpraktikantinnen oder Bühnenbildassistentinnen. Aber auf einmal hörte ich nur noch den Namen Jessica.
Jessica dies, Jessica das, Jessica hatte ein Einser-Abi, Jessica hatte erst Kunst studiert und jetzt Medientechnik, Jessica machte das echt gut, und die Schlosser kommen jetzt alle viel öfter zu Jonas ins Büro und wollen dort etwas besprechen – warum wohl? Dabei bekam Jonas Glitzeraugen, die er sonst nur bekam, wenn er von Maja und mir sprach. Ich versuchte, das alles zu ignorieren, aber leicht fiel mir das nicht. Es hatte eben einfach nichts zu bedeuten.
Vor allem wusste ich ja nicht mal, wie diese sagenumwobene Jessica aussah! Bestimmt war sie zwei Meter groß, hatte eine Figur wie ein Bodybuilder, eine Warze auf der Nase und trug zur Arbeit Jogginghosen.
Aber bevor ich mich bei Megaradio meldete und meine ehemaligen Radiokollegen bat, Jonas für mich auszuspionieren, da musste noch viel Wasser die Elbe hinunterfließen. Oder hinauf. Oder wo fließt das Wasser hin?
Nachdenklich fuhr ich auf den Parkplatz der Redaktion im Hamburger Schanzenviertel und stellte den Motor aus.
Eine Stunde später saß ich, immer noch in Gedanken versunken, an meinem Schreibtisch. Dabei hätte ich dringend meinen Artikel zum Thema »Zehn Dinge, die Kinderaugen an Weihnachten zum Leuchten bringen« schreiben müssen. Und das auch noch pädagogisch korrekt, ganz im Stil unseres etwas konservativen Magazins. Kein Wunder, dass mir nichts einfiel. Einen Abgabetermin hatte ich auch, irgendwann; ich hatte es mir aufgeschrieben. Ich fand den Zettel nicht mehr, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich nicht mehr alle Zeit der Welt hatte. Sachte pustete ich in meinen dritten Becher Kaffee, trank einen Schluck und suchte einen Platz auf meinem übervollen Tisch.
Links und rechts neben der Tastatur und am Bildschirm klebten wichtige gelbe Notizzettel (Sophie, deine Mutter hat angerufen/Sophie deine Mutter hat schon wieder angerufen/Sophie, es ist wohl wichtig/Sophie, deine Mutter will sich umbringen, wenn du dich nicht meldest/Sophie, deine Mutter hat heute NICHT angerufen!!??), auf der ehemals freien Fläche des Schreibtisches stapelten sich Zeitschriften, Mappen, Ordner, andere Zeitschriften, Terminplaner der letzten drei Jahre, darauf Taschentücher, Nasentropfen, eine halb volle Zigarettenschachtel, ein Labello, eine halb volle Cola-light-Flasche und eine Fisherman’s-Friend-Packung. Mein Handy lag neben der Tastatur.
Vor mir wartete ein leerer Monitor darauf, mit sinnvollem Text gefüllt zu werden. Ich war lustlos, und mir fiel nichts ein, also ließ ich meine Gedanken und meinen Blick schweifen, in der Hoffnung auf einen überraschenden Geistesblitz.
Das Büro befand sich in einem nicht besonders schicken, aber kultigen Altbau mit hohen Wänden, alten Dielen und kleinen Räumen in Hamburg-Eimsbüttel, genauer gesagt Nähe Schulterblatt. Das ist da, wo es immer die Krawalle gibt. Erster Mai, Schanzenviertel und so. So wie in Berlin, nur kleiner. Einmal hatten wir sogar in einer Ausgabe darüber berichtet, zum einen aus der Sicht einer Polizistin, die auch Mutter war. Wie sie damit zurechtkam, an so einem gefährlichen Einsatz beteiligt zu sein. Was sie von den Aufständen hielt, die ja eigentlich nur »zum Spaß« stattfanden. (Was sie davon hielt, konnte man sich denken, nämlich gar nichts. Sie hätte auch lieber mal einen Maifeiertag für sich und ihre Familie.)
Auf der Gegenseite stellten wir eine der Krawallmacherinnen vor, die mit ihren zwei Kindern in einem Bauwagen wohnte. Meine Kollegin hatte sie gefragt, wer in der Zeit auf ihre Kinder aufpasste ( ihre Kommune natürlich ), wie sie sich das als Mutter eigentlich so dachte (sie dachte sich nichts dabei) und ob sie ihren Kindern kein besseres Vorbild sein wollte (nö, die kriegen das ja nicht mit). Schönes Leben, am Wochenende Steine
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