Haertetest
die Bühnentechniker und der Bühnenmeister, und die Kulisse steht schon längst. Jetzt ist alles in Ordnung. Ich betreue ja nur die ersten Aufbauten. Das ist jetzt alles safe«, erklärte er. »Aber wenn du willst, können wir uns das Stück angucken. Wir schleichen einfach in den Oberrang – hast du Lust?« Er grinste schelmisch.
O nein. Ich hatte mir ja geschworen, nie wieder ein Theaterstück anzusehen. Aber seinetwegen würde ich mir das Stück, für das er so viel gearbeitet hatte, auch antun. Wenn wir noch irgendwo Plätze bekamen.
Wir mussten warten, bis es im Saal dunkel war und sich das Gemurmel gelegt hatte. Dann schloss Jonas uns im Oberrang eine Loge auf. »Die VIP -Loge« grinste er und ließ mir den Vortritt. Das hieß wohl, dass heute keine VIP s anwesend waren. Unsere superbequemen, thronähnlichen Stühle standen in der Loge so weit hinten, dass wir unsere Nachbarlogen nicht sehen konnten. Und die uns auch nicht.
Okay, wir würden uns Rapunzel ansehen. Die aufgeregte Atmosphäre hatte mich angesteckt, obwohl ich modernes Theater nicht besonders mochte.
Man konnte davon ausgehen, dass Rapunzel entweder nackt oder ein Mann oder ein nackter Mann war, dass sie nicht in einem Turm, sondern in einem Verlies gefangen war, dass ihre Seele in sich selbst eingeschlossen war und dass ein Prinz, blutverschmiert (und wahrscheinlich auch nackt) auf einem Mann oder einer Frau, die das Pferd spielten, ihre Seele retten würde.
Vielleicht spielten auch noch zwei Heilige mit (ja, natürlich nackt), die sich im Hintergrund die ganze Zeit an die Gurgel gingen. Das wären dann die Gebrüder Grimm, die allegorisch ihre brutale Erzählkunst darstellten. Und wenn das Theater noch tausendmal den Kunstpreis des Jahres bekam ich liebte schöne klassische, kitschige Kostümstücke, in denen man Text und Sinn verstand, so wie Romeo und Julia.
Und wenn noch ein bisschen gesungen wurde, war mir das auch recht. Keine magersüchtigen Elfen, die kreischend auf einer Holzschaukel saßen und vor sich hin geiferten. Und hinterher fragte man sich, ob man eben einen zweistündigen Albtraum hatte.
Natürlich betonten die Besucher immer wieder, sehr, sehr gerne ins Theater zu gehen, und natürlich hatten Theaterfans auch ein Jahresabo. Ich hatte mein Jahresabo geheiratet, aber ich hatte eigentlich nicht damit gerechnet, mir noch mal eins von diesen Stücken anzusehen. Jonas hatte mir zum zweiten Hochzeitstag tatsächlich einmal Karten fürs Theater geschenkt. Natürlich nicht für die Konkurrenz – ich hätte zum Beispiel gerne mal König der Löwen oder Tarzan gesehen –, aber nein, auf unseren Karten stand: Der Gott des Gemetzels. Den Rest kann man sich denken. Damals hatte ich mich zehn Minuten nach Beginn des Stückes mit der Ausrede, dass ich mal zur Toilette müsse, rausgeschlichen und dann die ganze Vorstellung mit der Garderobenfrau Gabi verbracht. Ich unterhielt mich mit ihr, las ihre Für Sie und knabberte mit ihr Kekse. Nichts hatte mich wieder zurück in das Stück bekommen. Und Jonas dachte wirklich, er hätte mir eine Freude gemacht. Dass ich nicht gerade im Viereck gesprungen war, als ich die Karten aus ihren Umschlägen zog, hatte er nicht mal bemerkt. Ich war auch selber schuld – wie oft hatte ich ihn vorher gebeten, mich endlich mal mitzunehmen.
Danach hatte ich mich nicht getraut, zu fragen, ob sie auch »normale« Stücke spielten. Und jetzt saß ich hier fest. Na, prost Mahlzeit! Der Vorhang hob sich langsam. Es ging los.
Ein nackter Ritter, der nur an seinem Schwert zu erkennen war, also an dem Schwert, das er sich um den Bauch gebunden hatte, stand mutterseelenallein auf der Bühne. Es war der Schauspieler mit der Glatze, der mir vorhin erklärt hatte, sein Bademantel wäre kein Kostüm. Ach soooo! Verstehe! Er spielte im Adamskostüm! Genau wie ich vermutet und befürchtet hatte.
Er wurde von einem Scheinwerfer beleuchtet, der Rest der Bühne war leer und dunkel. Ich verstand den Job meines Mannes nicht so ganz. Wenn alle Stücke quasi ohne Kulisse auskamen, was machte er denn dann die ganze Zeit? Das würde ich ihn irgendwann mal fragen.
Das Schweigen auf der Bühne wurde langsam peinlich, und einige der Theatergäste fingen an zu kichern. Wie lange sollte der Ritter ohne Furcht und Haare denn dort noch stehen und nichts sagen? Ich versuchte, nicht auf seinen Penis zu starren, aber das wurde einem allein durch dessen Größe schier unmöglich gemacht. Albern begann
Weitere Kostenlose Bücher