Härtling, Peter
erlösende Nachricht brachte. Ob sie das Geschrei auf der Straße nicht hörten? Die Stadt sei außer sich. Es sei alles vorüber! Es herrsche Frieden! Soeben habe ein Bote Buonapartes die Stadt erreicht. Der General habe mit den Österreichern in Leoben einen vorläufigen Frieden geschlossen. Die Kämpfe würden eingestellt.
Man prostet sich zu. Susette hängt sich an den Arm ihres Mannes. Marie und Hölderlin werden gerufen mitzufeiern. Die Kinder rennen zwischen den Erwachsenen umher, fragen mit großer Ausdauer, ob denn die Franzosen nun nicht mehr kämen?
Nein!
Wirklich nicht?
Wenn ich es dir sag, Jette.
Und wer hat das gemacht, daß sie stillhalten?
Buonaparte!
Ist der ein Kaiserlicher?
Nein, ein Franzose, ein Republikaner.
Warum macht der Frieden?
Er hörte anders auf seine Umgebung. Die Ferne zu Susette verletzte ihn. Sie mußte ihre Rolle spielen. Sie spielte sie glänzend. Er sah ihr ungern dabei zu. Es kann sein, daß er wieder das Gefühl hatte, von innen zuzuwachsen. Henry muß er von Buonaparte erzählen. Buonaparte – dieser Name wird von nun an in aller Munde sein. Ein Held, vielleicht die Wiedergeburt der Revolution.Endlich der strahlende, der geborene Sieger, auf den sie gewartet haben, der ungebrochene Täter. An diesem Tag, vielleicht, als er bei Henry und Jette saß und das wenige, was er von Buonaparte und dessen Siegeszügen in Italien wußte, geduldig wiederholte, als der Jubel durchs Haus klang und er angestrengt lauschte, ob nicht Susette zu hören sei, ihre Schritte auf dem Gang, an diesem Tag änderte sich seine Stimme. Solche Sätze hatte er bisher nicht gehört und gekonnt. Sie überrumpelten ihn. Es war, als springe er von einer treibenden Scholle auf die andere. Er hatte sich gedulden müssen. Noch während der Unterhaltung mit den Kindern sagte er sich die Wörter unaufhörlich vor, und nachdem die Haushälterin die Kinder geholt hatte, setzte er sich an den Tisch, wendete ein Blatt, auf das er vor kurzem Zeilen über den Empedokles notiert hatte, und schrieb in einem Zug die Ode an Buonaparte, ein Gedicht, das nichts mehr zu tun hat mit denen, die vorausgingen, das sich schroff abwendet vom geläufigen Hymnenton, vom glättenden Reim, das endlich seine Gegenwart, seine Mitwisserschaft und dieses dumpfe fortdauernde Leid in die Sprache aufnimmt: »Heilige Gefäße sind die Dichter, / Worin des Lebens Wein, der Geist / Der Helden, der sich aufbewahrt, // Aber der Geist dieses Jünglings, / Der schnelle, müßt er nicht zersprengen, / Wo es ihn fassen wollte, das Gefäß? // Der Dichter laß ihn unberührt wie den Geist der Natur, / An solchem Stoffe wird zum Knaben der Meister. // Er kann im Gedichte nicht leben und bleiben, / er lebt und bleibt in der Welt.«
Diese Friedenserfahrung, diese Erlösung ist elementar. Er vergißt sie nicht, bis hin zu dem großen Gedicht, das er »Friedensfeier« nennt.
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IV
Die zehnte Geschichte
Im Mai zieht der Haushalt ins Landhaus, den Adlerflychtschen Hof. Er liegt im Norden, am Oederweg, vorm Eschenheimer Tor. Auf einer Gouache, die zwanzig Jahre vor Hölderlins Aufenthalt von Johann Georg Meyer gemalt wurde, liegt das spätbarocke, behäbig noble Hauptgebäude hinter einem Pappelspalier versteckt. Der niedere Wirtschaftsbau mit sich verschachtelnden Walmdächern steht zurückgesetzt, alles ist von einer hohen Hecke eingefaßt. Am Himmel beginnen sich sommerliche Wolken zu türmen. »… Man wohnt mitten im Grünen, am Garten unter Wiesen, hat Kastanienbäume um sich herum und Pappeln, und reiche Obstgärten und die herrliche Aussicht aufs Gebirg.« Er redet sich den Frieden, die Ruhe ein; er schreibt wieder mit offenen Händen, für ein paar Monate kann er die Bedrückungen der Stadt vergessen, daß er sich vor Gontard hüten muß, daß man ihn, wie einen Dienstboten, ausschließt, daß Susette oft unerreichbar ist. Das ist vorüber. Er redet sich Heiterkeit ein. »Je älter ich werde, ein desto größeres Kind bin mit dem Frühlinge wie ich sehe. Ich will mich noch aus allen Herzenskräften an ihm freuen.«
Den Tag über hält sich Gontard in dem Geschäft an der Großen Kräme auf. Meistens kommt er spät heim. Susette teilt den Tag auf. Den Morgen haben sie für sich, wenn das Haus still ist, die Kinder im Garten spielen, das Personal beschäftigt. Am Nachmittag lernt er mit Henry. Abends warten sie, gemeinsam mit Marie, auf die Heimkehr des Hausherrn. Marie ist längst Mitverschworene, schützt sie, warnt sie, sollte
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