Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
Vom Netzwerk:
Sommer.

[ Menü ]
    V
    Die Krise
    Die mit ihm umgehen, sind besorgt. Susette und Marie schelten ihn wegen seiner zunehmenden Empfindlichkeit. Selbst Henry flüchtet vor seinen Stimmungswechseln. Er ist dagegen machtlos. Die Krankheit, für die er keinen Namen hat, frißt sich in ihn hinein. Hegel, den er nur noch selten sieht, dringt auf ihn ein, er solle sich von Sömmering behandeln lassen. Doch von dem bekommt er bereits beruhigende Mittel. Es ist ein wachsender Widerstand gegen alles und alle. Seine Vorstellung von der Welt ist unvereinbar mit der Wirklichkeit. In nahezu allen Briefen, auch in seiner Poesie spricht er es wütend, mit erhobener Stimme aus. Auf dem Adlerflychtschen Hof, das gefährliche Spiel mit Susette fortsetzend, beendet er den »Hyperion«. Er liest Susette und Marie nichts mehr daraus vor. Er weiß, die Frauen würden über den maßlosen Zorn erschrecken. Aus Homburg wird er Susette das Buch schicken, schon eine späte Auskunft über das, was er, scheinbar ein heiterer Gast des Sommers, erlitten hat. Für sie schreibt er, im Aufatmen, die Augenblicke der Beruhigung festhaltend, Gedichte: »Komm und siehe die Freude um uns; in kühlenden Lüften / Fliegen die Zweige des Hains, / Wie die Locken im Tanz; und wie auf tönender Leier / Ein erfreulicher Geist, / Spielt mit Regen und Sonnenschein auf der Erde der Himmel …« Susette versteht sie als Zeichen der Genesung. Er hat sich dem Licht doch nicht verschlossen. Aber Hegel liest er den vorletzten Brief aus dem »Hyperion« vor, die unerhörte wilde Schmähung der Deutschen: »So kam ich unter die Deutschen. Ich forderte nicht viel undwar gefaßt, noch weniger zu finden. Demütig kam ich, wie der heimatlose blinde Oedipus zum Tore von Athen, wo ihn der Götter Hain empfing; und schöne Seelen ihm begegneten – Wie anders ging es mir! – Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien, in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und harmonielos, wie die Scherben eines weggeworfenen Gefäßes – das, mein Bellarmin! waren meine Tröster. – Es ist ein hartes Wort und dennoch sag ichs, weil es Wahrheit ist: ich kann kein Volk mir denken, das zerrißner wäre, wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, junge und gesetzte Leute, aber keine Menschen – ist das nicht, wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt untereinander liegen, indessen das vergoßne Lebensblut im Sande zerrinnt?«
    Hegel hatte ihn unterbrechen wollen. Er ließ sich nicht abbringen, las, fast schreiend, in Hegels winziger Kammer auf und ab gehend, – und als er geendet hatte, traute sich Hegel nicht, gleich die Stille zu brechen. Dann sagte er, zwischen jedem Wort eine Pause lassend:
    Des – bisch – du net – Fritz.
    Das bin ich geworden. Des habt ihr aus mir gemacht.
    Wer?
    Die Menschen und die Zeit, Hegel.
    Kehr doch um, Fritz, an dem gehst du zugrunde, an dem erstickst du.
    Ich seh es aber so.
    Und was sagt deine Madame?
    Die weiß es nicht, soll es auch nicht wissen. Das ist vielleicht …
    Was?
    Ach, nichts.
    Weißt du, als du gelesen hast, habe ich an Tübingen gedacht, an alle diese kindlichen Aufregungen, aber auch, wie uns niemand die Zuversicht nehmen konnte, daß dem Menschen ein Gutes mitgegeben ist. Du konntest dich genauso alterieren und bist flammend hin und her gegangen vor uns, und Neuffer hat sich an Apoll erinnert. Du hast dich nicht verändert, Hölder. Nur der Bub in dir ist verstockt und mutlos.
    Laß es sein.
    Wie lange bleibt ihr noch draußen?
    Ich weiß es nicht. Bis zum September.
    Dann sehen wir uns weiter wenig.
    Ohne Hölderlins Wissen beriet sich Hegel mit Doktor Sömmering, der jedoch keine Möglichkeit sah, seinen unwilligen Patienten fürs nächste aus dieser »schweren Hypochondrie« zu befreien.
    Er will es ja gar nicht, Herr Hegel, er flieht, rettet sich in das, was ihn zerstört. Und darüber haben wir keine Macht. Bei seinem Anspruch müßte sich die ganze Menschheit ändern.
    Bei einem Gartenfest, zu dem Gontard nahezu alle bedeutenden Frankfurter Familien eingeladen hatte, hörte er, wie eine Dame zu einer anderen sagte: Das ist der Hölderlin, der Hofmeister der Gontards und, wie es heißt, der

Weitere Kostenlose Bücher