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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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weitergeht, haben wir bald seine ganze Familie am Hals –, dafür, daß Karl ohne Einschränkung am Leben der Familie, an einigen Gesellschaften teilnehmen kann. Beim Unterricht sitzt Karl dabei, zu Henrys Vergnügen, der meint, es solle so bleiben.
    So, wie du aus dem Livius die Geschichte erzählst, Fritz, möchte ich sie auch lernen.
    Bei euch heißt er Fritz? fragte Henry.
    Und bei euch?
    Bei uns ist er der Hölder.
    Henry ist traurig, als er erfährt, daß Hölderlin und Karl für einige Tage verreisen wollten, und er bedrängt Susette, das »nicht zu erlauben«. Oder ich will mit.
    Auf dem Weg nach Homburg erzählt Karl, welche Ängste die Mutter bei den Kriegshandlungen ausgestandenhabe. Selbst den Réfugiés traue Johanna mehr als den Republikanern.
    Sinclair behandelt Karl wie seinesgleichen. Sie sprechen offen vor ihm. Der Junge hört schweigend zu, antwortet nur auf Fragen.
    Nein, über die Republikaner könne man nicht klagen, doch in Reutlingen hätten sie, hörte man, beim Durchmarsch übel gehaust, ebenso schlimm wie die Condéschen Truppen. Da dreht m’r d’ Hand net rum.
    Sinclair korrigiert Karl. In seinem noblen Hofanzug beeindruckt er den Jungen ohnedies.
    Der Krieg, Karl, und sei es einer, den eine große Idee entfacht hat, entstellt den Menschen, entfesselt Kräfte, die sonst nicht wach werden, und in der rauhen Horde wird gerade der Schwache, der Geknechtete häufig gemein. So kann die Idee, die sie ausgesandt hat, aus den Köpfen verlorengehen. Nicht aus allen, nicht aus jenen, die die Freiheit erwarten. Und so hoffen wir, daß sie dennoch in die Wüsteneien einzieht.
    Sinclair, der im Auftrag des Landgrafen nach Darmstadt mußte, riet ihnen, nach Mainz zu wandern und dort anzusehen, wie die Republikaner ihr Regime ausübten. Es war eine zweischneidige Empfehlung. Sie durchquerten den Taunus, stiegen auf den Feldberg, wo Karl die »unermeßliche Fernsicht« verblüffte und Hölderlin Mühe hatte, alle Dörfer und Weiler, nach denen der Bruder fragte, zu benennen.
    Das könnt Bonames sei. Ich bin net sicher.
    Bonames? Heißt des Dörfle wirklich so?
    Aber vielleicht isch’s des gar net.
    Vor Mainz mußten sie mehrfach ihre Ausweise zeigen. Karls Angst legte sich, als er sah, daß die Gardistenfreundlich blieben, der Bruder sich auf Französisch mühelos verständigte. Der Zustand der Stadt erschreckte sie. Ungleich mehr Häuser waren zerstört als in Frankfurt. Die meisten Ruinen überwucherte Grün, kleine Bäume wuchsen zwischen den Steinen. Sie erfuhren, daß ein Bombardement der Preußen vor vier Jahren den größten Schaden angerichtet habe und man sich seitdem, da die Stadt immer wieder von den Kaiserlichen bedrängt wurde, kaum habe erholen und etwas aufbauen können.
    Die Einheimischen schienen gleichgültig gegen alles. Ob Kaiserliche oder Republikaner, es sei ihnen egal. Überall stießen sie auf Kinderbanden, die sich oft in der Nähe von Troßwagen zu schaffen machten, von den Milizen mit Hieben und Flüchen vertrieben wurden – unbeschreiblich verdreckte, verwilderte Gestalten, deren Wendigkeit und Frechheit Karl erstaunten.
    So ebbes könnt’s bei uns nie gäbe.
    Sei net so sicher.
    In Nürtinge, Fritz?
    Selbsch da.
    Sinclair hatte ihnen eine Empfehlung für Professor Nikolaus Vogt geschrieben, den großen Historiker, der ein Gesinnungsfreund sei, sie gewiß gern empfangen werde. Er ist ein Jakobiner und doch keiner. Und dieser sonderbaren Charakterisierung hatte er die Geschichte Vogts hinzugefügt. In der Hektik des Jahres 1792, als in Mainz die Jakobinerklubs nur so aus dem Boden schossen, Listen herumgereicht wurden, geriet Vogt, ohne daß er es wußte und wollte, mit seinem Namen auf eine solche Liste. Zwar war er durchaus republikanisch und stand möglicherweise auch den Vorstellungen der Jakobiner nah, doch dieser Bubenstreich verwirrte, verärgerte ihn derart, daßer die Heimat verließ und in der Schweiz Exil suchte. Erst vier Jahre danach kam er, da er in der Schweiz kein Auskommen fand, nach Mainz zurück und lehrte seither, von den Studenten verehrt, an der Universität.
    Vor der Wohnung Vogts hielt ein Gardist Wache. Sie zögerten. Vielleicht stand der Professor unter Arrest und sie würden mit ihrem Besuch unliebsam auffallen. Karl wollte umkehren, Hölderlin fragte den Soldaten, ob hier der Professor Vogt wohne, ob man ihn besuchen dürfe. Weshalb nicht? Der Professor erhalte viel Besuch. Sie atmeten auf, Vogt selbst öffnete ihnen die Tür. Hölderlin stellte

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