Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
würde, am allerwenigsten sie selbst. Im Fernsehen hatte sie einmal eine Sendung mit einem bekannten Schauspieler gesehen, der von seiner Kindheit mit der alleinerziehenden Mutter in einer kleinen Wohnung in einem Stockholmer Vorort erzählte. Gisela war vor dem Fernsehgerät sitzen geblieben, unfähig aufzustehen. Eigenartigerweise schien er fast stolz zu sein, als er erzählte, wie er sich durchgebissen hatte, immer weiter nach oben. Dass er es aus eigener Kraft ans Königliche Theater geschafft hatte, ohne Kontakte. Aber wie konnte jemand stolz sein auf eine so ärmliche Herkunft?
Sie selbst schämte sich wie ein Hund und tat alles, um nicht daran erinnert zu werden. Mit der Zeit hatte sie eine innere Einstellung entwickelt, eine Art Lebensphilosophie, die darauf hinauslief, dass man die Wahl hatte und sich auf das konzentrieren konnte, was gut war. Sie verachtete Menschen, die klagten, in ihren Augen war das verwöhntes Gejammer. Man konnte sich entscheiden und das Schlechte nicht beachten. War das Glas halb leer oder halb voll? Das war doch eine Frage der Einstellung.
Deshalb richtete sie ihren Blick auf Carls Herkunft und nicht auf ihre eigene.
Carl Malmquist. Aufgewachsen im Ostteil der Stadt, wo schöne Häuser die Straßen säumen. Er stammte aus einer alten Unternehmerfamilie, Carls Vater hatte in den Sechzigerjahren das erste Autohaus der Stadt gegründet, die Mutter war Hausfrau. Gisela musste lächeln, wenn sie daran dachte, wie Carl als Kind sorglos durch die vielen überdimensionierten Zimmer der Villa gelaufen war, nicht unähnlich dem Haus, das sie jetzt bewohnten.
Niemand hatte damit gerechnet, dass Carl sich Gisela zur Frau nehmen würde, und in bestimmten Kreisen wurde auch noch lange indigniert geflüstert. Ein Flüstern, gefolgt von schiefen Blicken, die nie Carl trafen, sondern immer nur sie. Sie wurde nie eine von ihnen, sosehr sie sich auch anstrengte.
Carl und Gisela sahen sich zum ersten Mal, als er die Parfümerie Schmetterling betrat und nach einem passenden Parfüm für eine Fünfzigjährige, seine Mutter, fragte. Ihm gefiel wohl vor allem ihr nettes, ordentliches Äußeres. Sie wollte gerne glauben, dass ihr tadelloses Auftreten, verstärkt durch ihre professionelle Bedienung, ihm zusagte. Er hatte lachend gesagt, er habe keine Ahnung, was für ein Duft zu seiner Mutter passen könnte, und Gisela hatte süß gelächelt und geantwortet:
»Seien Sie ganz beruhigt, das herauszufinden ist unsere Aufgabe. Sie sind genau an der richtigen Stelle.«
Diese Erinnerung war ihr immer noch lieb und teuer, es war ein Ort, an den sie gerne zurückkehrte.
Sie hatte einige Flaschen hervorgeholt und Proben auf ihre schmalen Handgelenke gesprüht, so zierlich und zart, dass Carl sie mit einer Hand hätte umfassen können. Das tat er jedoch nicht, er roch übertrieben, schnüffelte geräuschvoll und berührte mit seiner Nasenspitze fast ihre zarte Haut, was ihr ein keckes kleines Lachen entlockte.
Hatte er schon da verstanden, dass sie eine perfekte Ehefrau abgeben würde? Freundlich, nett, zugeneigt, sogar hübsch anzusehen, nicht streitsüchtig, ausgesprochen vorzeigbar.
Sie gingen schon am gleichen Abend in die Konditorei Tre Bagare. Er lud sie zu Kaffee und einem Vanilleherz ein, sie aß es in vorsichtigen kleinen Bissen.
Sie war erst neunzehn und arbeitete seit zwei Jahren in der Parfümerie. Erst als Aushilfe an Sonntagen und im Sommer, dann nach dem Schulabschluss als Vollzeitkraft. Ihre Erfahrungen mit Jungen und Männern waren so gut wie nicht vorhanden. Nicht dass sie hässlich gewesen wäre, zumindest nicht hässlicher als andere. Geschminkt und mit Haarspray sah sie richtig gut aus. Die Leute schienen sich nur ihren Namen nicht merken zu können.
Als Verkäuferin verwandelte sie sich, sie traute sich, den Kunden Tipps zu geben, erklärte und argumentierte, warum blumige Düfte besser zu älteren Damen passten und ein sportliches, frisches Parfüm zur Jugend gehörte. Sie liebte ihre Arbeit, sie war ihr Stolz, ihre Fahrkarte zur Freiheit des Erwachsenenlebens. Die Arbeit gehörte auch zu den wenigen Dingen, die sie gegen Carls Willen durchgesetzt hatte. Am Anfang hatte er nichts dagegen gehabt, dass sie weiter arbeitete, aber als er zum Einkaufschef befördert wurde und Julia auf die Welt kam, hatte er ihr klargemacht, dass er es weder nötig noch passend fand.
»Dein Lohn, Gisela, spielt für unser Einkommen keine Rolle. Meine neue Arbeit wird einiges an Repräsentation mit sich
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