Häschen in der Grube: Roman (German Edition)
bringen, und ich erwarte, dass du mich da unterstützt.«
Sie hatten gerade das Haus gekauft, und Gisela wusste, dass es seine Zeit brauchte, alles sauber und ordentlich zu halten.
Bisher hatte sie freudig alle äußeren Veränderungen mitgemacht, die Carl vorschlug. Sie hatte aufgehört zu rauchen, färbte sich die Haare nicht mehr braun, trug nicht mehr den kirschroten Lippenstift, sondern den perlmuttrosafarbenen, den Carl lieber mochte. Und als Carl fand, sie sollten statt des grünen Sofas, das sie gerne wollte, ein beiges kaufen, war klar, dass sie das beigefarbene nahmen. Sich nach seiner Meinung zu richten, empfand sie nicht als Opfer, sie liebte ihn und war zutiefst dankbar für alles, was sie durch und mit der Heirat bekommen hatte.
Außer wenn es um ihre Arbeit ging. Das war der einzige Vorschlag, dem sie sich widersetzte, sie weigerte sich, die Arbeit in der Parfümerie aufzugeben. Schließlich einigten sie sich darauf, dass sie nur noch Teilzeit arbeitete und freitags freihatte. Ihre Chefin hatte sich nur ungern darauf eingelassen, Gisela war ihre beste Verkäuferin. Aber ehe sie Gisela ganz verlor, ließ sie sie halbtags arbeiten und ab und zu einen Tag freihaben.
In Wahrheit liebte Gisela es, dass Carl zu allem eine Meinung hatte, von der Farbe ihres Lippenstifts bis zur Politik. Sie war oft unentschieden, deshalb war es leicht, sich seine Ansichten anzueignen. Außerdem besaß er die Gabe, Menschen zu überzeugen, nicht nur Gisela. Er war so sicher, dass seine Sicht auf die Welt und die Menschen die einzig richtige war, und konnte deshalb kaum verstehen, dass jemand etwas anders sah. Genau wie er fand, dass es absolute Werte gab, die entschieden, ob ein Bild gut oder schlecht war oder Mozarts Musik genial, so gab es Ansichten, die einfach richtig waren. Als Carl also damals vorschlug, die Nacht zusammen in der Wohnung eines Freundes zu verbringen, war nur wenig Überredung vonnöten, bis sie Ja sagte. Sie waren da schon ein paar Monate verlobt und wollten im Sommer heiraten. Giselas Zögern beruhte auf moralischen Bedenken, aber wie immer hatte Carl recht, als er erklärte, da sie verlobt seien und das Hochzeitsdatum feststünde, handele es sich im Prinzip um ehelichen Sex.
Ihre Vorstellung von Lust war vage, aber sehnsuchtsvoll, sie gründete sich auf wenige Erinnerungen an die Geräusche von ihrem Vater Greger und der Mutter Erika. Genussvolles Stöhnen, das anders klang als alles, was sie je gehört hatte. Als sie älter wurde, verstand sie die Bedeutung der Geräusche. Das machte sie verlegen, aber es war eine der wenigen guten Erinnerungen, die sie an ihre Eltern hatte. Ihre eigene Lust war eine pochende Wärme, die sich vom Bauch in den Unterleib und innen an den Schenkeln entlang ausbreitete. Ein Kitzeln, das sie leicht zittern ließ, ein Gefühl, das zu einer Welle anwachsen und sich durch den ganzen Körper fortpflanzen konnte.
Das gleiche Gefühl hatte sie, als Sven aus ihrer Klasse sie zum ersten Mal küsste, weiche Lippen, ein dampfender Mund, der nach Halspastillen schmeckte, oder als Carl ihren Unterarm mit seiner Nasenspitze kitzelte.
Sie hatte große Erwartungen daran gehegt, nackt neben Carl zu liegen und gestreichelt und geliebt zu werden. Aber als sie dann schließlich in der fremden Wohnung auf dem schmalen Bett lag und Carl seinen nackten Körper auf ihren legte, spürte sie nur Atemnot. Die Lust war wie weggeblasen. Das Feuchte und Warme war kalt und nass, Carls Körper war hart und schwer. Sein Blick war woanders, er atmete schnell wie beim Sporttraining.
Zuerst wollte sie mit ihrem Körper zu erkennen geben, dass sie nicht wollte, sie presste die Beine zusammen und versuchte sich so zu drehen, dass er abglitt. Aber Carl war stark und drückte ihre Beine auseinander, hielt ihre Arme in einem festen Griff, aus dem sie sich nicht befreien konnte. Sie versuchte, mit ihm zu reden, aber er antwortete nicht und schaute sie auch nicht an. Machte nur weiter zwischen ihren Beinen, bis sie einen stechenden Schmerz verspürte.
Es brannte, und gleichzeitig kam die Decke auf sie zu, sie verstand, dass sie wohl träumte. Sie schwebte schwerelos über dem Bett, sah, wie Carls Körper sich auf jemandem bewegte, der aussah wie sie, was aber nicht sein konnte.
In Träumen fühlt man nie Schmerzen. Sie hatte schon mehrmals geträumt, von einem hohen Haus zu fallen und auf dem Asphalt zu landen. Ein Sturz, der lebensgefährlich war, das wusste sie, aber sie hatte nie Schmerzen
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