Hafen der Träume: Roman (German Edition)
kühl und abwesend, dachte er, als säße sie hinter einer dünnen Glasscheibe, die nur in einer Richtung durchsichtig war.
Sie hatte sich das Haar zurückgestrichen, so dass es ihr geschmeidig in den Nacken fiel und das Gesicht völlig freiließ. Mit Steinen besetzter Goldschmuck in Tropfenform baumelte an ihren Ohren. Phillip beobachtete, wie sie den Stift niederlegte und ihre blassgelbe Wildlederjacke abstreifte.
Zu Shiney’s zu gehen war ein spontaner Entschluss gewesen. Er hatte sich irgendwie rastlos gefühlt und wollte etwas dagegen tun. Jetzt pries er die unzufriedene Stimmung, die ihn den ganzen Abend verfolgt hatte. Sybill war genau das, was er in diesem Augenblick brauchte.
»Sybill, richtig?« Als sie aufblickte, bemerkte er das kurze, überraschte Flackern in ihren Augen. Und er sah, dass ihre Augen klar und hell wie frisches Quellwasser waren.
»Stimmt.« Wieder ruhig, schloss sie ihr Notizbuch und lächelte. »Und Sie sind Phillip von Boats by Quinn.«
»Sind Sie allein hier?«
»Ja … es sei denn, Sie möchten mir auf ein Glas Gesellschaft leisten.«
»Und wie ich das möchte.« Phillip zog einen Stuhl heran, wies aber mit dem Kopf auf ihr Notizbuch. »Oder störe ich?«
»Nicht wirklich.« Die Kellnerin brachte den Wein, und Sybill bedankte sich mit einem Lächeln.
»Hallo, Phil. Ein Bier?«
»Marsha, du kannst Gedanken lesen.«
Marsha, dachte Sybill. Damit war die kesse Brünette aus dem Spiel. »Die Musik ist ungewöhnlich.«
»Die Musik in diesem Laden ist immer völlig daneben.« In Phillips Gesicht blitzte ein charmantes amüsiertes Lächeln auf. »Das hat Tradition.«
»Dann auf die Tradition.« Sybill hob das Glas und nippte an ihrem Wein, bevor sie einen Eiswürfel hineingab.
»Und was sagen Sie zu dem Wein?«
Sie probierte den nächsten Schluck. »Einfach, ursprünglich, schlicht.« Sie lächelte freundlich. »Daneben eben.«
»Der Wein ist auch eine stolze Tradition bei Shiney’s. Aber aus dem Zapfhahn fließt Sam-Adams-Bier. Schmeckt wesentlich besser.«
»Das werde ich mir merken.« Sybill neigte den Kopf, die Lippen leicht geschürzt. »Da Sie sich mit den Traditionen hier auskennen, vermute ich, Sie wohnen schon länger in St. Christopher.«
»Ja, kann man sagen.« Phillips Augen verengten sich.
Als er Sybill näher betrachtete, streifte eine vage Erinnerung seinen Geist. »Ich kenne Sie.«
Sybill merkte, wie der Puls in ihrer Halsschlagader zu hämmern begann. Sie hob langsam ihr Glas. Die Hand blieb ruhig, ihre Stimme gleichmäßig und gelassen. »Das glaube ich nicht.«
»Doch, ich kenne Sie. Ich kenne Ihr Gesicht. Heute Nachmittag haben Sie eine Sonnenbrille getragen, deshalb bin ich nicht gleich darauf gekommen. Etwas an Ihnen …« Phillip fasste unter Sybills Kinn und bog ihren Kopf in dieselbe Richtung, in die sie vorhin gesehen hatte. »Dieser Blick.«
Er hatte kaum Schwielen an den Fingern, und seine Berührung fühlte sich fest und Vertrauen erweckend an. Die Geste alarmierte sie. Für diesen Mann war es normal, Frauen zu berühren. Ihr dagegen war Körperkontakt zu Männern eher fremd.
Abwehrend hob sie die Brauen. »Eine zynisch veranlagte Frau würde das für einen Trick halten, sie anzumachen, und zwar für keinen sehr originellen.«
»Ich benutze keine Tricks«, murmelte Phillip und betrachtete weiter ihr Gesicht. »Außer originellen. Ich habe ein gutes Gedächtnis für Gesichter, und Ihres kenne ich. Klare, intelligente Augen, das leicht amüsierte Lächeln. Sybill …« Sein Blick glitt über ihre Züge. Dann verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. »Griffin. Doktor Sybill Griffin. Familiar Strangers .«
Sybill atmete unhörbar aus. Ihr Erfolg war noch jung, und es überraschte sie immer wieder, wenn jemand sie erkannte. In diesem Fall war sie erleichtert. Zwischen Dr. Griffin und Seth DeLauter bestand für Phillip kein Zusammenhang.
»Sie sind gut«, sagte sie leichthin. »Haben Sie das Buch tatsächlich gelesen, oder kennen Sie nur das Foto auf dem Umschlag?«
»Ich habe es gelesen. Faszinierendes Thema. Was Sie
schreiben, hat mir so gut gefallen, dass ich mir auch Ihr erstes Buch gekauft habe. Das habe ich allerdings noch nicht gelesen.«
»Ich fühle mich geschmeichelt.«
»Sie sind wirklich gut. Danke, Marsha«, fügte er hinzu, als die Kellnerin das Bier vor ihn hinstellte.
»Wenn Sie noch etwas brauchen, rufen Sie mich.« Marsha zwinkerte. »Brüllen Sie ruhig. Die Band bricht heute Abend alle Lärmrekorde.«
Die
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