Hafen der Träume: Roman (German Edition)
Gelegenheit nutzend, rückte Phillip seinen Stuhl näher zu Sybill und neigte sich in ihre Richtung. Ihr Duft war fein, stellte er fest. Ein Mann musste ihr sehr nahe kommen, um die Botschaft zu verstehen. »Sagen Sie mir, Dr. Griffin, was führt eine berühmte Städterin wie Sie in das unbedeutende Hafennest St. Christopher?«
»Forscherdrang. Ich interessiere mich für Verhaltensmuster und Traditionen«, antwortete sie, hob ihr Glas und trank ihm zu. »In kleinen Orten.«
»Ein ziemlicher Szenenwechsel für Sie.«
»Das Interesse an soziologischen und kulturellen Fragen sollte sich nicht auf die großen Metropolen beschränken.«
»Haben Sie sich Notizen gemacht?«
»Ein paar. Über die Kneipe als Treffpunkt«, begann Sybill, wieder in sichererem Fahrwasser. »Beispielsweise die Stammgäste. Sehen Sie die drei Typen an der Bar, völlig eingenommen von ihrem ritualisierten Männersport, blind und taub für alles, was sonst um sie herum geschieht? Ebenso gut könnte jeder für sich gemütlich zu Hause sitzen, zurückgelehnt in seinen Fernsehsessel. Aber sie ziehen das verbindende Gemeinschaftserlebnis vor, als passive Teilnehmer am Spiel. Hier befinden sie sich unter ihresgleichen, unter Kameraden, egal, ob sie einer Meinung sind oder sich die Köpfe heiß reden. Was zählt, ist die Kumpanei, ein vertrautes Muster, nach dem sie interagieren.«
Phillip stellte fest, dass er Sybills Stimme mochte, wenn sie zu dozieren anfing und dabei in sauberes Yankee-Englisch verfiel. »Die Baltimore-Orioles sind auf der Jagd nach dem Meistertitel. Und Sie befinden sich mitten in ihrem Territorium. Vielleicht liegt es auch am Spiel.«
»Das Spiel ist nur das Vehikel. Es könnte auch Basketball oder Football sein, das Muster bleibt immer gleich.« Sybill zuckte mit den Schultern. »Der typische Mann erlebt beim Sport die größte Befriedigung, wenn er das Ereignis zumindest mit einem gleich gesinnten männlichen Partner teilen kann. Die Werbung, die primär männliche Konsumenten ansprechen soll, zeigt das deutlich. Bier zum Beispiel«, sagte Sybill und tippte an sein Glas. »Für Bier wird häufig geworben, indem man eine Gruppe attraktiver Männer zeigt, die miteinander etwas erleben. Männer kaufen dann dieses Bier, weil ihre Biologie sie glauben macht, der Konsum einer bestimmten Marke erhöhe ihren Status bei den anderen Männern.«
Phillip grinste, und Sybill hob die Brauen. »Sie sind nicht meiner Meinung?«
»Ganz im Gegenteil. Ich arbeite in der Werbebranche, und Sie beschreiben ziemlich genau, um was es geht.«
»Werbebranche?« fragte Sybill unschuldig und verdrängte das leichte Schuldgefühl. »Ich hätte nicht gedacht, dass man hier von so etwas leben kann.«
»Ich arbeite in Baltimore. Die Wochenenden verbringe ich hier, für einige Zeit. Eine Familienangelegenheit. Das ist eine längere Geschichte.«
»Ich würde sie gern hören.«
»Später.« Ihre von langen, tintenschwarzen Wimpern umrahmten und fast durchsichtig wirkenden blauen Augen hatten etwas, das ihn in den Bann zog. Phillip konnte kaum noch woanders hinsehen. »Sagen Sie mir, was Ihnen sonst noch auffällt.«
»Tja …« Gekonnt, wie er das macht, dachte sie. Meisterhaft. Seine Art, eine Frau anzusehen und ihr das Gefühl zu geben, in diesem Augenblick das Wichtigste auf der Welt für ihn zu sein. Ihr Herz bebte freudig erregt. »Sehen Sie die andere Bedienung?«
Phillip folgte ihrem Blick. Er sah, wie die Kellnerin auf dem Weg zum Tresen aufreizend ihr kurzberocktes Hinterteil schwenkte. »Könnte nicht offensichtlicher sein.«
»Genau. Sie spricht in Verhalten und Aussehen bestimmte primitive männliche Bedürfnisse an. Aber ich rede nicht von ihrem Körper, sondern von ihrer Persönlichkeit.«
»Also gut.« Phillip fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Was erkennen Sie?«
»Sie ist tüchtig und gewandt, aber sie rechnet sich bereits aus, wie viel Zeit noch bleibt, bis der Pub geschlossen wird. Sie erkennt auf einen Blick, bei welchen Gästen die höchsten Trinkgelder zu erwarten sind, und verteilt ihre Aufmerksamkeit entsprechend. Die Collegestudenten dort drüben am Tisch ignoriert sie völlig. Bei denen ist nicht viel zu holen. Die gleichen Überlebenstechniken würde man auch bei einer erfahrenen und abgebrühten Kellnerin in New York finden.«
»Linda Brewster«, erklärte Phillip. »Vor kurzem geschieden und auf der Jagd nach einem neuen Ehemann, der ihr mehr zu bieten hat. Die Pizzeria im Ort gehört ihrer Familie. Sie
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