Hafen der Träume: Roman (German Edition)
steigen und loszufahren.
Um zu helfen natürlich. Sie wollte ihr helfen.
»Ich komme wegen Gloria DeLauter«, erklärte sie dem Polizisten in Uniform hinter dem Schalter. »Ich möchte mit ihr sprechen, wenn das möglich ist.«
»Ihr Name?«
»Griffin. Dr. Sybill Griffin. Ich bin ihre Schwester. Ich hinterlege Kaution für sie. Aber ich … vorher möchte ich sie gerne sehen.«
»Kann ich Ihren Ausweis sehen?«
»Ja, ja.« Mit feuchten, zittrigen Fingern kramte sie nach ihrer Brieftasche. Der Polizist wartete mit unbeteiligter Miene, bis sie ihre Papiere vorlegte.
»Nehmen Sie bitte Platz.« Damit schob er seinen Stuhl zurück und verschwand im Nebenraum.
Sybills Kehle war ausgedörrt. Sie durchquerte den Warteraum, an Plastikstühlen in einem schmuddeligen Beigeton vorbei zum Waschbecken. Das Wasser sackte wie ein Eisklumpen in ihren gequälten Magen.
Hatte man sie in eine Zelle gesteckt? O Gott, hatte
man ihre Schwester tatsächlich in eine Zelle gesperrt? Sollte sie Gloria in einer Gefängniszelle wiedersehen?
Trotz ihres Kummers und der Scham funktionierte Sybills Verstand kühl und pragmatisch. Woher hatte Gloria gewusst, wo sie zu erreichen war? Wieso hielt sie sich in der Nähe von St. Christopher auf? Wieso beschuldigte man sie, im Besitz von Drogen zu sein?
Das war der Grund, warum sie das Geld nicht überwiesen hatte, gestand Sybill sich jetzt ein. Zuerst wollte sie Antworten.
»Dr. Griffin.«
Sie fuhr zusammen und drehte sich um, mit Augen so groß wie die eines Rehs im grellen Scheinwerferlicht. »Ja. Kann ich zu ihr?«
»Ich muss Ihnen die Tasche abnehmen. Sie bekommen eine Quittung.«
»Gut.«
Sie händigte ihm die Tasche aus, unterschrieb in der Zeile, auf die sein Finger wies, und nahm die Quittung an sich.
»Hier entlang.«
Er öffnete eine Seitentür in einen schmalen Flur. Zur Linken befand sich ein kahler Raum, in dem ein Tisch und mehrere Stühle standen. Da saß Gloria, das rechte Handgelenk an einen Eisenbolzen gefesselt.
Der Polizist hat sich geirrt, war Sybills erster Gedanke. Das war nicht ihre Schwester. Sie hatten eine Fremde in den Raum gebracht. Diese Frau war zu alt, zu verhärtet, mit spitzen Schulterknochen wie Flügelansätze und prallen Brüsten, deren Spitzen sich unter dem dünnen Stoff abzeichneten, in ein enges T-Shirt gezwängt.
Ihre strohblond gefärbte, krause Haarmähne wuchs am Ansatz dunkel nach. Um den Mund lagen tiefe Falten, und der Blick ihrer unsteten Augen war scharf wie ihre spitzen Schulterblätter.
Dann füllten diese Augen sich mit Tränen, der Mund begann zu zittern.
»Syb.« Glorias Stimme klang brüchig, und sie hielt ihr flehend die Hand entgegen. »Gott sei Dank bist du endlich da.«
»Gloria.« Sybill eilte zu ihr und nahm ihre zitternde Hand. »Was ist geschehen?«
»Ich weiß nicht. Ich versteh das alles nicht. Ich habe wahnsinnige Angst.« Sie legte den Kopf auf den Tisch und begann laut und herzzerreißend zu schluchzen.
»Bitte.« Sybill setzte sich neben sie, schlang den Arm um ihre Schwester und wandte sich an den Polizisten. »Können Sie uns allein lassen?«
»Ich warte draußen.« Sein Blick streifte Gloria. Wenn er sich über die Verwandlung dieser Frau wunderte, die vor wenigen Stunden kreischend, zeternd, um sich schlagend eingeliefert worden war, so ließ er sich jedenfalls nichts anmerken.
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
»Ich bring dir einen Becher Wasser.«
Sybill eilte zum Behälter in der Ecke und ließ Wasser in einen dünnen Pappbecher laufen. Sie führte ihrer Schwester beim Trinken die zitternde Hand.
»Hast du die Kaution bezahlt? Wieso können wir nicht gehen? Ich will hier raus.«
»Ich kümmere mich darum. Erzähl mir, was passiert ist.«
»Ich sagte doch, ich habe keine Ahnung. Ich war mit so einem Kerl zusammen. Ich war so einsam.« Sie schniefte, und Sybill reichte ihr ein Papiertaschentuch. »Wir haben uns eine Weile unterhalten und wollten essen gehen, als die Bullen auftauchten. Er rannte weg, und mich nahmen sie fest. Es ging alles so schnell.«
Sie barg ihr Gesicht in den Händen. »Sie haben Drogen in meiner Tasche gefunden. Die muss er mir zugesteckt haben. Dabei wollte ich nur mit einem Menschen reden.«
»Beruhig dich. Wir werden alles aufklären.« Sybill wollte alles glauben, akzeptieren und hasste sich dafür, dass sie es nicht schaffte. Nicht ganz. »Wie heißt der Mann?«
»John. John Barlow. Er war so lieb, Sybill. So verständnisvoll. Ich war völlig am Boden. Wegen
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