Hafen der Träume: Roman (German Edition)
haben. Ein oder zwei Tage wollte ich ihr Zeit lassen und euch beide dann in einem Heim unterbringen. So hätte ich meine familiären Pflichten erfüllt und mein Leben wie gewohnt weiterführen können.«
»Aber das hast du nicht getan.«
»Zuerst erfand ich Entschuldigungen für mein Verhalten. Nur noch eine weitere Nacht. Dann gestand ich mir ein, dass ich sie bleiben ließ, weil ich dich nicht hergeben wollte. Wenn ich sie dabei unterstützte, einen Job und eine Wohnung zu finden und ihr wieder auf die Beine half, konnte ich dich in meiner Nähe behalten. Ich hatte vorher noch nie … du warst der erste Mensch, der …«
Sie zwang sich, tief durchzuatmen und es auszusprechen. »Du hast mich geliebt. Das habe ich zum ersten Mal in meinem Leben erfahren dürfen, und das wollte ich nicht verlieren. Als es dann doch geschah, zog ich mich ganz zurück und machte weiter wie bisher. Ich habe dabei mehr an mich als an dich gedacht. Jetzt
möchte ich das wieder gutmachen, indem ich mich um dich kümmere.«
Er wandte seinen Blick von ihr ab und starrte auf seine im Wasser baumelnden Füße. »Phil hat mir erzählt, dass sie dich angerufen hat und du ihr gesagt hast, sie soll sich verpissen.«
»Nicht genau mit diesen Worten.«
»Aber das hast du doch gemeint, oder nicht?«
»Ich denke schon.« Sie unterdrückte ein Lächeln. »Ja.«
»Ihr habt also dieselbe Mutter, aber verschiedene Väter, stimmt’s?«
»Genau.«
»Weißt du, wer mein Vater ist?«
»Ich habe ihn nie kennen gelernt.«
»Aber weißt du seinen Namen? Sie hat mir immer wieder etwas anderes erzählt. Nur Scheiße … ich meine Mist«, korrigierte er sich.
»Ich weiß, dass er Jeremy DeLauter heißt. Sie waren nicht lange verheiratet, und …«
»Verheiratet?« Er sah sie verblüfft an. »Sie war nie verheiratet. Da hat sie dir wohl einen Bären aufgebunden.«
»Nein, ich habe die Heiratsurkunde gesehen. Sie hatte sie bei sich, als sie nach New York kam und hoffte, ich könne ihr helfen ihn zu finden, da sie Alimente fordern wollte.«
Er dachte einen Moment darüber nach. »Mag sein. Das ist auch nicht wichtig. Wahrscheinlich hat sie einfach den Namen eines Typen angenommen, mit dem sie eine Zeit lang gelebt hat. Wenn er sich mit ihr eingelassen hat, kann er sowieso nur ein Verlierer sein.«
»Ich könnte ihn suchen lassen. Es würde wohl eine gewisse Zeit dauern, aber wir würden ihn bestimmt finden.«
»Das will ich nicht.« Seths Stimme klang nicht beunruhigt,
sondern nur desinteressiert. »Ich habe mich bloß gefragt, ob du ihn kennst, das ist alles. Ich habe ja jetzt eine Familie.« Er hob den Arm, als Foolish ihn anstupste, und umarmte den Hund.
»Ja, das stimmt.« Sie spürte einen leichten Stich im Herzen und stand auf. Als sie in der Ferne etwas Weißes sah, zögerte sie. Es war ein Reiher, der aufstieg und knapp über dem Wasser dahinglitt. In Sekundenschnelle war er wieder verschwunden und hinterließ nur einen Luftstrom, der das Wasser kräuselte.
Ein schönes Geschöpf, dachte Sybill. Ein herrliches Plätzchen. Ein Zufluchtsort für geplagte Seelen, für Jungen, die eine Chance verdienten, zu Männern zu werden. Sie konnte Ray und Stella Quinn nicht für das danken, was sie geleistet hatten, aber sie konnte ihre Hochachtung zeigen, indem sie sich jetzt zurückhielt und ihren Söhnen die Möglichkeit gab, sich weiter um Seth zu kümmern.
»Ich muss jetzt gehen.«
»Die Sachen zum Zeichnen sind wirklich toll!«
»Freut mich, dass sie dir gefallen. Du hast Talent.«
»Gestern Abend habe ich es mit den Kohlestiften versucht.«
»Ach ja?« fragte sie zögernd.
»Irgendwie gelingt mir das nicht.« Er drehte sich um und sah sie an. »Damit ist alles viel schwieriger als mit dem Bleistift. Vielleicht kannst du mir zeigen, wie man damit umgeht.«
Sybill starrte auf die See. Ihr war klar, dass er sie nicht um etwas bat, sondern ihr ein Angebot machte. Jetzt bekam sie eine Chance und musste sich entscheiden. »Ja, ich denke, ich könnte dir dabei helfen.«
»Jetzt?«
»Ja.« Sie bemühte sich um einen gelassenen Tonfall. »Jetzt gleich.«
»Cool.«
KAPITEL 19
Nun gut, wahrscheinlich war er etwas zu hart mit ihr umgesprungen, sagte sich Phillip. Er war eben der Meinung gewesen, Sybill hätte ihm sofort erzählen sollen, dass sich Gloria mit ihr in Verbindung gesetzt hatte. Selbst auf der Party hätte sie ihn doch kurz beiseite nehmen und aufklären können.
Aber er hätte sie nicht so angreifen und dann verschwinden
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