Hafen der Träume: Roman (German Edition)
Mich kann man dafür ja nicht verhaften.«
Ray stützte Phillips Fuß mit verschränkten Händen ab, trat dann aber einen Schritt zurück und beobachtete lächelnd, wie sein Sohn nach oben kletterte. »Ich werde dich vermissen«, sagte er leise und verschwand im Schatten.
Im Wohnzimmer ihrer Suite konzentrierte sich Sybill angestrengt auf ihre Arbeit. Es war ihr vollkommen gleichgültig, ob sie sich unvernünftig und kleinlich verhielt, wenn sie nicht auf Phillips Klopfen reagierte. Ihr Bedarf an emotionalen Erschütterungen für dieses Wochenende war gedeckt. Außerdem hatte Phillip ziemlich schnell aufgegeben, beruhigte sie sich.
Sie lauschte dem Wind, der an den Fenstern rüttelte, biss die Zähne zusammen und hämmerte auf die Tastatur.
Es scheint, als würde internen Informationen größere Bedeutung zugemessen als externen Nachrichten. Während Fernsehen, Zeitungen und andere Informationsquellen in kleinen Ortschaften ebenso leicht zugänglich sind wie in den großen Ballungszentren, gewinnen bei abnehmender Bevölkerungsdichte und -zahl die Zustände und Vorkommnisse in der direkten Nachbarschaft an Bedeutung.
Informationen werden mündlich weitergegeben, mit einem unterschiedlichen Grad an Genauigkeit. Klatsch stellt eine akzeptierte Form der Kommunikation dar. Das Netzwerk arbeitet erstaunlich rasch und effizient.
Das Phänomen der Nicht-Anteilnahme, bei der man vorgibt, die privaten Unterhaltungen Dritter in der Öffentlichkeit nicht zu hören, ist in kleinen Gemeinschaften weniger verbreitet als in Großstädten. In Übergangsbereichen, beispielsweise Hotels, findet man Nicht-Anteilnahme jedoch auch hier als typisches und akzeptiertes Verhaltensmuster. Es liegt nahe, dort als Grund das regelmäßige Kommen und Gehen von Außenstehenden anzunehmen. Hingegen zeigt man an anderen Orten offen seine Aufmerksamkeit, wie in …
Sybills Finger verharrten wie auf den Tasten festgefroren, und ihr Mund ging auf, als sie Phillip die Balkontür zur Seite schieben und ins Zimmer treten sah. »Was …«
»Die Schlösser an diesen Dingern sind ein Witz.« Er ging durchs Zimmer zur vorderen Eingangstür, öffnete sie und hob einen Korb und eine Vase mit Blumen hoch, die er dort abgestellt hatte. »Ich dachte, das könnte ich riskieren. Diebstähle sind in dieser Gegend selten. Vielleicht kannst du diese Information deinen Notizen hinzufügen.« Phillip stellte die Vase mit den Rosen auf Sybills Schreibtisch.
»Du bist die Fassade hochgeklettert?« Sie konnte ihn nur verblüfft anstarren.
»Ziemlich übler Wind.« Phillip öffnete den Korb und nahm die erste Flasche heraus. »Ich könnte einen Schluck vertragen. Was ist mit dir?«
»Du bist am Haus hochgeklettert?«
»Das haben wir bereits festgestellt.« Mit einer gekonnten Drehbewegung öffnete Phillip die Flasche. Der Korken ploppte dumpf.
»Du kannst doch nicht« – Sybill machte eine wilde Handbewegung – »einfach hier einbrechen und eine Flasche Champagner aufmachen!«
»Ich habe es gerade getan.« Phillip füllte zwei Gläser. Dabei machte er die Entdeckung, dass sein Ego keinerlei Schaden nahm, wenn Sybill ihn entgeistert anstarrte. »Wegen heute Morgen möchte ich mich entschuldigen, Sybill.« Lächelnd bot er ihr ein Glas Champagner an. »Ich habe mich ziemlich mies gefühlt und es an dir ausgelassen.«
»Du entschuldigst dich also, indem du wie ein Dieb bei mir einsteigst?«
»Sehe ich aus, als wollte ich dich berauben? Außerdem hast du auf mein Klopfen nicht reagiert, und die Blumen wollten zu dir. So wie ich. Waffenstillstand?«
Er war also die Fassade emporgeklettert. Sybill konnte es nicht glauben. Noch nie hatte jemand etwas so Verrücktes und Gefährliches für sie getan. Sie starrte Phillip an, mitten in seine goldenen Augen mit dem engelgleichen Blick, und ihr Herz wurde weich. »Ich habe zu arbeiten.«
Phillip grinste, weil er ihren Widerstand schwinden sah. »Und ich habe Belugakaviar dabei.«
Sybill klopfte mit den Fingern auf die Handstütze ihrer Tastatur. »Blumen, Champagner, Kaviar. Bist du immer so gut ausgerüstet, wenn du irgendwo einbrichst?«
»Nur, wenn ich mich entschuldigen und der Gnade einer wunderschönen Frau ausliefern will. Finde ich noch Gnade bei dir, Sybill?«
»Könnte schon sein. Ich habe Glorias Anruf nicht vor dir verschweigen wollen, Phillip.«
»Das weiß ich. Glaub mir, wenn ich nicht selbst darauf gekommen wäre, hätte Cam mir diese Wahrheit heute Morgen in den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher