Hafenmord - ein Rügen-Krimi
ihm den Appetit nicht verdorben, allerdings konnte Posall sich kaum eine Situation ausmalen, die ihm länger als eine halbe Stunde auf den Magen schlagen würde. Im Übrigen konnte er viel besser nachdenken, wenn seine Kauwerkzeuge genussvoll beschäftigt waren.
Nein, er trauerte nicht um Kai – das wäre eine scheinheilige Behauptung. Allenfalls erschreckte es Posall, dass der Mann unter gewaltsamen Umständen sein Leben verloren hatte. Doch vermissen würde er Richardt ganz bestimmt nicht, und ungläubiges Entsetzen über das Geschehen hatte ihn auch nicht ergriffen, denn im Gegensatz zu den meisten anderen, die mit ihm zu tun gehabt hatten, hielt Hinz es nicht für ausgeschlossen, dass Kai sich Feinde gemacht hatte. Oder auch nur einen Feind. Einen Todfeind. Das genügte ja.
Richardt war ein glänzender Geschäftsmann gewesen, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Er hatte Posall schon als junger Mann mit seinem scharfen Verstand, seinem zielgerichteten Arbeitseifer und seiner Geschicklichkeit im Umgang mit Menschen imponiert. Später war ihm klargeworden, dass Richardt ein manipulativer und herrischer Typ war, der keine Unachtsamkeit, keinen noch so kleinen Fehler durchgehen ließ und der es nicht ertrug,wenn man ihm die Fäden aus der Hand nahm oder dies auch nur beabsichtigte. Wer seine Autorität infrage stellte, musste sich warm anziehen – sowohl im Geschäfts- als auch im Privatleben.
Ganz der Sohn seiner Mutter, dachte Hinz, während er sich ein großes Stück Brot in den Mund schob und mit Wein nachspülte. Anna Richardt hatte in der Familie und im Hotel die Hosen angehabt – immer. Ihren Mann Martin, Kais Vater, hatte er als kuschenden Jammerlappen in Erinnerung, obwohl er durchaus etwas von seinem Fach verstand, und selbst Kai hatte erst spät gewagt, gegen die Alte aufzubegehren und seinen eigenen Weg zu gehen.
Hinz schüttelte den Kopf. Was für eine widerliche, kaltherzige Hexe, dachte er. Im Gegensatz zu Kai war sie keine gute Schauspielerin gewesen – ihr hatte man meist sehr genau angesehen, wenn ihr etwas gegen den Strich gegangen war. Dann hatten ihre Lippen nur noch eine schmale, leicht gekrümmte Linie gebildet, und in ihren Augen war eine stille, machtvolle Wut gewesen, die nur darauf gewartet hatte, sich zu entladen. Posall war davon überzeugt, dass sie mit genau diesem Ausdruck auf dem Gesicht sterben würde.
Was für ein seltsamer Gedanke! Er schüttelte den Kopf. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er Angst vor ihr gehabt hatte und ihretwegen seiner Zeit im Hotel in Lübeck keine Träne nachweinte. Nein, erst jetzt konnte er es sich eingestehen.
Kai hätte es niemals zugegeben und eine diesbezügliche Frage empört abgewiesen, aber Hinz hielt es durchaus für denkbar, dass auch er seine Mutter gefürchtet und darum unter ihrer Fuchtel gelernt hatte, sein wahres Gesicht und seine wahren Gefühle immer perfekter hinter einer Maske aus freundlicher Verbindlichkeit und charmanter Zugewandtheit zu verbergen. Zunächst lediglich, um sie zu täuschen. Später dürfte er festgestellt haben, wie nützlichdieses Talent war, und hatte es stetig ausgebaut – im Geschäftsleben, bei Frauen, im Freundeskreis. Kaum jemand wusste, was Kai wirklich dachte – gedacht hatte –, welche seiner Kunden er geradezu verachtet, wen er gerne gehabt hatte und zu schätzen wusste und wen er nicht ausstehen konnte.
Hinz gegenüber hatte er sich manchmal erlaubt, die Maske ein Stück zu lüften und seine Regungen sichtbar werden zu lassen. Posall verzog das Gesicht. Es war nicht nötig, mir irgendetwas vorzuspielen, dachte er. Ich bin ein jämmerlicher Versager und wäre ohne Kai grandios gescheitert. Ohne sein Geld und seine vorausschauende Klugheit wäre ich aufgeschmissen gewesen, während Kai stets durchs Leben marschiert war, als könnte ihm niemals etwas misslingen. Bis auf eine klitzekleine Ausnahme – vor vielen Jahren, noch in Lübeck, hat er mal mein Wort gebraucht. Es war auch um eine Frau gegangen, aber das lag ewig und drei Tage zurück.
Als die Lauber im Hotel aufgetaucht war und ihren unverschämten Auftritt hingelegt hatte, war Kai für Momente wie gelähmt gewesen. Dann hatte er Hinz den Kopf zugewandt, und in seinen Augen waren für Sekundenbruchteile unbändige Wut und Hass aufgeflackert, bis er sich wieder in der Gewalt gehabt hatte. Sollte die Frau ihm tatsächlich noch mal über den Weg gelaufen sein, würde Posall seine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass Kai höflich
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