Hafenmord - ein Rügen-Krimi
Panikanfälle sind etwas sehr Unfreundliches, das dürfen Sie mir glauben. Mein Therapeut bezeichnete sie mal als Seelenkoliken. Das ist ein sehr treffender Ausdruck. Meine Beziehung ist den Bach heruntergegangen. Den kleinen Seelenfrieden, den ich mir erarbeitet habe und um den ich immer wieder kämpfen muss, lasse ich mir nicht nehmen – auch nicht von Ihnen! Das andere Entführungsopfer hat sich damals umgebracht, das wissen Sie doch, oder?«
»Deswegen habe ich keine Wahl.«
»Doch. Haben Sie. Anscheinend spricht ja wohl so einiges dafür, dass dieser Typ es war. Und wenn ihn jemand deswegen zur Strecke gebracht hat, sollten Sie den für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen!«
»Und wenn sich herausstellt, dass er es doch nicht war? Könnten Sie nicht viel besser mit all dem abschließen, wenn der Fall endgültig und hundertprozentig geklärt wäre? Könnte das nicht den kleinen Seelenfrieden sogar festigen und wachsen lassen?«
Mirjam verzog das Gesicht. »Schöne Vorstellung, noch schönere Aussicht. Aber können Sie mir für den Fall, dass Kai Richardt als Entführer doch ausfällt, versprechen, dass Sie den wahren Täter finden und dingfest machen? Nach all den Jahren? Oder bleiben die Akten dann eben einfach wieder liegen – bis zum nächsten Mal? Was ist mit meinem kleinen Seelenfrieden, wenn es Ihnen nicht gelingt, endgültig und unumstößlich für Klarheit zu sorgen?«
Gute Frage, dachte Romy. Sie atmete tief durch.
»Sprechen Sie mit der Freundin von Maria Bernburg«, hob Mirjam plötzlich erneut an und trank nun trotz zittriger Hände einen Schluck von ihrem Tee. Sie zog ein Gesicht, als erstaunte sie ihr eigener Vorschlag.
Romy blickte sie gespannt an. »Warum?«
»Die Polizei hat ihren Fall damals wieder aufgerollt oder es zumindest versucht – das habe ich mitbekommen. Ich erinnere mich, wie bei einer Befragung ein Beamter einem anderen gegenüber erwähnte, dass damals kein Abschiedsbrief bei ihr gefunden worden sei«, erläuterte Lupak. »Wenn ich das richtig verstanden habe, war die beste Freundin aber fest davon überzeugt, dass es einen Abschiedsbrief gegeben hatte. Und sie hielt es für mehr als wahrscheinlich, dass der Ehemann den Brief verschwinden ließ – aus Entsetzen und aus Scham.«
»Scham?«
Mirjam nickte. »So gab der Polizist die Worte der Freundin wieder. Sie wissen doch – eine vergewaltigte Frau hat ihre Würde verloren. Und sie kriegt sie nie wieder, egal, wie sehr sie sich anstrengt.«
Romy ballte die Fäuste. »Danke für den Hinweis«, sagte sie leise. »Zwei Fragen noch: Wann haben Sie Tim Beier das letzte Mal gesehen oder gesprochen?«
»Keine Ahnung. Das ist Jahre her.«
»Sind Sie sicher?«
»Natürlich bin ich sicher. Ich bin inzwischen verheiratet, und wie Sie bemerkt haben dürften, liegt mir nichts daran, an alten Zeiten festzuhalten«, erwiderte Mirjam Lupak forsch. »Ihre zweite Frage?«
»Ich muss Sie und Ihren Mann routinemäßig nach Ihrem Alibi fragen und Ihre Angaben auch überprüfen.«
Mirjam zuckte mit den Achseln. »Das ist in dem Zusammenhang mein geringstes Problem. Ben war von Donnerstag bis Sonntagabend auf einer Fachtagung in Stuttgart – mein Mann ist Dozent für Energie und Umwelt an der Fachhochschule Stralsund und hat einen Vortrag im Zusammenhang mit dem Stuttgart-21-Projekt gehalten. Ich habe Samstag bis Mittag gearbeitet und hatte abends Besuch von einer Kollegin, sie heißt Sabine Ruhland. Wir sind essen gegangen.«
»Und wie haben Sie den Sonntag verbracht?«
»Wie die meisten Leute nach einer arbeitsreichen Woche: Ich habe ausgeschlafen und dann liegengebliebene Haushaltsarbeit erledigt, zwischendurch telefoniert, mich auf die Rückkehr meines Mannes gefreut ...«
»Danke, Frau Lupak. Darf ich mich noch mal melden – wenn es wichtig ist?«
Mirjam zeigte ein winziges Lächeln. »Das ist bereits die dritte Frage, und Sie kennen die Antwort.«
Tim Beier machte keinen Hehl daraus, dass ihn die Situation irritierte.
»Ich hab doch bereits mit der Kommissarin gesprochen«, sagte er zu Kasper, als sie sich im Vernehmungsraum gegenübersaßen.
»Wir müssen ein Protokoll anfertigen«, gab Schneider lapidar zurück.
Beier schüttelte unwillig den Kopf. »Und dafür lassen Sie mich aus Stralsund abholen?«
»Name, Geburtsdatum, Anschrift, Beruf«, leierte Kasper herunter, nachdem er die Aufnahme gestartet hatte. »Legen Sie los. Umso eher sind wir fertig.«
Beier stöhnte kurz auf und leierte dann die Angaben ebenso
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