Hafenweihnacht
Linggstraße. Robert Funk hatte inzwischen ein zweites Mal vergeblich bei Jochen Drohst geklingelt, dessen Wohnung nur wenige Meter entfernt lag. Lydia Naber wollte der immer dichter werdenden Menschenansammlung rund um den Hafen entkommen und war über die Maximilianstraße gelaufen.
Drunten im Hafen standen die Aufräumarbeiten vor dem Abschluss und das Karussell drehte sich mit Musik und Autos und Elefanten; Motorräder und Giraffen waren mit begeisterten Kindern besetzt, und bald würden die Lichterketten aufleuchten und das graue Einerlei, welches Wolken und Seefläche boten, in eine funkelnde und glitzernde Zauberwelt aus warmtonigem Lichterschein verwandeln. Für Lydia Naber und die anderen war es hingegen ein denkbar ungeeigneter Ort, um ihre Gedanken auf die Ermittlungen zu konzentrieren. Schielin hatte den Weg durch das Budendorf gewählt, um bei dem Gatter mit den grauen Zwergeseln vorbeizusehen, die der Hafenweihnacht einen krippenhaften Moment, einen Hauch von Weihnachtsgeschichte geben sollten. Es war eine gute Wahl, denn den Rummel vertrugen am ehesten diese robusten Esel, die ihre Köpfe Schielins Hand entgegenstreckten und gar nicht genug gekrault werden konnten. Einen Ochsen hätte Schielin hier nicht erleben wollen.
Als er das Café betrat, war Lydia gerade mit Notizen beschäftigt und Robert Funk unterhielt sich an einem anderen Tisch mit zwei Frauen.
»Hast du ihm von New Lindau erzählt?«
»Nee, das würde er eh nicht glauben.«
»War seine Befragung erfolgreich?«
Sie ließ ein frustriertes Knurren hören, ohne den Kopf zu heben. »Ätzende Routine. Er hat einen Hotelgast im Helvetia befragt, eine ältere Dame, die dort seit fast drei Wochen ein Zimmer hat. Irgendwann im Gespräch hat er dann gemerkt, dass sie dement ist. Nun ja. Ist nichts dabei rausgekommen. Ich kenne das ja inzwischen von meinem Fräulein Seidl, du erinnerst dich, mein Betreuungsfall im Maria-Martha-Stift?«
Schielin signalisierte, dass er sich sehr wohl an die alte Dame erinnerte, um die sich Lydia kümmerte, seit sie einander bei einem Fall begegnet waren. Er überlegte, wann das gewesen sein könnte. Entweder war das beim Mord an diesem Immobilienmakler gewesen, oder bei der traurigen Geschichte mit diesem Ottmar Kinker, der erstochen am Pulverturm gelegen hatte. Er unterbrach seine Nachforschungen und meinte: »War also verlorene Zeit.«
Lydia Naber hob jetzt den Kopf und sog laut Luft ein. »Da sind wir uns nicht ganz schlüssig …«, sie schickte einen strengen Blick durch den Raum in Richtung Robert Funk, »wenn unser lieber Kollege von seinen Verehrerinnen lassen könnte, wäre das vielleicht hilfreich.«
Schielin hatte das Geschehen im Rücken und sagte: »Vielleicht ermittelt er ja.«
Lydia ließ ein ironisches Lachen hören. »Diese Ermittlungen kenne ich … aber egal. Die alte Dame hat ihm wunderschöne Geschichten erzählt, von ihrer Familie, Lindau, dem Bodensee, ihrer Heimatstadt St.Gallen – und vom Heiligen, der heute Nacht im Hafen gewesen sein soll.«
»Na, dann sind wir ja schon ein großes Stück weitergekommen«, entgegnete Schielin.
»Und du hast zumindest die Sache mit dem schwarzen Audi quattro, der zwischen Mitternacht und Morgengrauen zweimal von seinem Fahrer vor dem Bahnhof geparkt wurde. Beide Male in etwa eine halbe Stunde. Das erste Mal zwischen Mitternacht und ein Uhr und das zweite Mal so zwischen zwei und drei Uhr. Das sind für unseren Fall äußerst interessante Zeiten, wie ich finde.«
»Sicher, aber wir haben kein Kennzeichen, nicht mal in Teilen, und nichts Genaues über die Werbeaufschrift an den Türen, diese Internetadresse. Bin mal gespannt, wie viele Audis es mit Lindauer Kennzeichen gibt.«
Lydia war weniger skeptisch. »Es könnte schlimmer sein. Audi, A6, schwarz, Avant, quattro, Dreilitermaschine, neues Modell. Ich glaube, so arg viele sind das nicht. Na ja. Robert hatte übrigens bei seinem Nonnenhorner Hausbesitzer auch kein Glück. Da können wir nur hoffen, dass wenigstens Wenzel etwas Brauchbares von der Obduktion mitbringt. Am liebsten wäre mir inzwischen wirklich ein Unfall, weißt du. Ich will Weihnachten genießen und keine kruden Todesfälle lösen müssen.« Sie sah hinüber zur Theke, wo ein Ehepaar zwei prächtige Pralinenschachteln füllen ließ. Ihr lief unweigerlich das Wasser im Mund zusammen beim Gedanken an Nougat und Marc de Champagne.
Robert Funk kam zurück. Lydia Naber grinste ihn böse an. »Na, Ermittlungen getätigt?«
Funk strich
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