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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
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muss sich doch die Frage stellen dürfen: Ist dieser Hafen noch zeitgemäß? Haben Sie sich das eigentlich schon einmal angesehen, wie das hier abläuft, im Sommer, mit den Schiffen?«, seine Stimme hob sich, »ich war hier! … Ich war hier und habe mir das angesehen. Die Schiffe – sie kommen, fahren einen weiten Bogen da draußen, müssen dann durch diese enge Einfahrt zwischen dem Tier …«
    »… es ist ein Löwe, bayerischer Löwe«, warf Schielin ein.
    Bleise dankte ihm stumm. »… zwischen Löwe und Leuchtturm, diese Engstelle eben, hindurch müssen sie da, und legen dann an. Und die Leute …«
    »Gäste …«, ergänzte Schielin, der sich fragte, auf welchem effektiveren Wege sonst die Schiffe in den Hafen kommen sollten.
    »Ah, Gäste … gut … sie verlassen das Schiff, neue … Gäste betreten das Schiff, welches dann rückwärts ablegt, im Hafen drehen muss und wieder durch diese Engstelle hinausfährt. Und währenddessen müssen anderen Schiffe draußen warten. Ich habe derlei im letzten Sommer mehrfach beobachtet und dokumentiert.«
    »So ist das eben«, meinte Lydia Naber.
    »Ja, genau! So ineffizient ist das eben. Wir haben berechnet, dass mit einem effizienteren System pro Transfereinheit bis zu zwanzig Minuten eingespart werden könnten. Man könnte also den Transfer, zum Beispiel von Meersburg nach Bregenz, um zwanzig bis dreißig Minuten verkürzen. Vor einem Jahrhundert gab es noch Pferdegespanne und man ist umhergeritten, heute fahren wir mit dem Auto über unsere Autobahnen und wer weiß, bald werden wir vielleicht alle fliegen …« Er sah die beiden begeistert an. Seltsamerweise war alles an ihm ruhig geworden. Nichts zuckte oder zappelte.
    Schielin sah im Geiste Pferdegespanne gemütlich traben und meinte versonnen: »Mir ist selbst ein Pferd zu schnell, deswegen gehe ich mit meinem Esel wandern.«
    Dr. Caspar Bleise erlitt einen sehr kurzen Schüttelanfall, sah Schielin für einen kurzen Moment verwirrt an, bevor er laut lachte und sich immer wieder mit der Hand aufs Knie schlug und rief: »Das ist gut … das ist gut … Esel … Sie haben Humor … ein Polizist mit Humor … das ist gut! Esel …!«
    Lydia unterbrach seinen Ausbruch. »Also das mit dem Zeitgewinn ist schon so eine Sache. Darüber kann man auch anderer Meinung sein. Vielleicht geht es vielen unserer Besucher vordergründig nicht darum, möglichst schnell über den Bodensee transferiert zu werden. Sie genießen die Bootsfahrten, die Sonne, trinken Kaffee, essen Kuchen, gehen spazieren, bummeln, schlendern durch die Gassen der Altstadt, bewundern die Seefläche, die sattgrünen Ufer, die schneebedeckten Gipfel … lassen ihre Seele baumeln und erholen sich dabei von den schnellen Transfers andernorts.«
    Dr. Bleise wurde ernst. »Durchaus, durchaus. Verstehen Sie mich nicht falsch, verstehen Sie mich nicht falsch. Sicher gibt es vielerlei Entwürfe, aber es gibt kaum einen guten Grund, weswegen etwas auf immer so bleiben muss wie es ist.«
    Schielin hatte Probleme den Ausführungen zu folgen.
    Bleise war in seinem Element. »Denken Sie an die Zukunftsfähigkeit dieser Stadt, für die es mutige Entwürfe braucht. Unsere Zeit lebt von der Geschwindigkeit, glauben Sie mir? Wir haben errechnet, dass mit unserem Konzept zusätzliche Einheiten im sechsstelligen Bereich bewegt werden könnten. Und denken Sie an Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Erfolg, nicht wahr«, er hob mahnend die Hand, »ökonomische Stabilität.«
    »Lindau ist nun mal eine sehr alte Stadt …«, warf Schielin ein und fragte, »… von welchen Einheiten sprechen Sie denn?«
    »Ah, na ja, diese Gäste eben.«
    Schielin sah ihn ernst an. »Mhm.«
    Einheiten. Das waren also die Maßeinheiten der Betriebswirtschaftler. Da war nicht mehr die Rede von Gästen, Besuchern oder Touristen. Wie beim Militär, dachte Schielin. Zuerst wird die Sprache entmenschlicht. Ein General lässt viel eher mal eine Einheit über die Klinge springen, als dass er das Gleiche fertigbrächte, wenn sich in den Begriffen Menschenschicksale assoziieren ließen. Und dieser Doktor Bleise rechnete aus exakt dem gleichen Grund in Einheiten. Es war immer verdächtig und abzulehnen, wenn Menschen betreffende Begriffe in den sprachlichen Raum der Mechanik verschoben wurden. Er schwieg.
    Über Lydia Nabers Gesicht zog ein hämisches Lächeln. »Ach ja, und wie wollen Sie so viel mehr Einheiten bewegen, transferieren, beamen?«
    Auf diese Frage schien Dr. Caspar Bleise gewartet zu haben.

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