Hafenweihnacht
Aufgabe für Jasmin Gangbacher, die darin recht fix war. Doch die sollte ihren Lehrgang ohne Unterbrechung zu Ende bringen. Gommi sollte daher mit den Dingern ins LKA fahren. Er hatte überhaupt gute Kontakte dorthin aufgebaut. Immer wieder erhielt er Anrufe, meldete sich selbst und alle fragten sich insgeheim, wie ihm das gelungen war – ihrem Gommi. So ein Kontakt war nicht von Nachteil. Überhaupt nicht.
Gerade als Schielin und Funk die Akten beisammenhatten, um auf die Insel zu fahren, surrte das Telefon. Der zuständige Richter informierte über die Verspätung des Anwalts. Robert Funk übernahm die erforderlichen Verständigungen und Schielin machte sich trotzdem auf den Weg. Es war ihm gerade recht an diesem Sonntagvormittag etwas mehr Zeit zu haben. Er parkte direkt vor dem Amtsgericht und ging von dort hinunter in Richtung Hafen. Der Lichtschein aus den weiten Fensterflächen des Theatercafés wirkte einladend. Er setzte seinen Weg aber fort. Im Seehafen ging es geschäftig zu. Rund um die Holzbuden breitete sich eine betriebsame Anspannung aus. Letzte Vorbereitungen für den sonntäglichen Ansturm auf die Hafenweihnacht wurden getroffen. An manchen Buden leuchteten die Lichterketten bereits, andere wurden erst angeschlossen und auf Funktionsfähigkeit überprüft. Am Stand neben dem Eselgatter wurde Glühwein aus milchkannengroßen Gefäßen in matt glänzende Töpfe geschüttet und alle Waren, vom Weihnachtsschmuck bis zu heilenden Steinen und Büchern, wurden für den zu erwartenden Ansturm hergerichtet. Heizlüfter sorgten für erträgliche Temperaturen und die armdicken Kabelstränge entlang der Hafenmauer machten den Energiehunger sichtbar. Das Karussell drehte sich noch einsam, und schleuderte die an Seilen hängenden Weihnachtsmänner durch die kalte Sonntagmorgenluft. Scheppernd klangen die Weihnachtsweisen über das Wasser.
Schielin spazierte wie ein Fremder durch das hektische Gewusel und kam sich in seiner Rolle als Beobachter wie ein Fremder vor. Aus einer Bude, die übervoll mit Holzschnitzereien befüllt war, drang Fluchen. Schielin blieb stehen und schenkte ihr etwas mehr Aufmerksamkeit. Nicht wegen des bärtigen Kerls, der im Schatten des Mangturms und im Schutz des Budendachs vor sich hin schimpfte, sondern wegen eines anmutig geschnitzten Holzesels, der auf einem der hinteren Schaubretter stand, neben Kühen, Schafen, Gänsen, Hirten, Mägden und allerlei anderen Vieh- und Menschenfiguren unterschiedlicher Größen, die für Krippen bestimmt waren.
Der warme Klang der Glocken vom Münster setzte ein und zwei Glockenschläge des Nachbarturms von St. Stephan kamen dazu. Das Geläut wandelte die Szenerie und legte über das bisher profane Schaffen und Werkeln unvermutet den Anschein sakralen Fleißes. Der Blick vom Leuchtturm hätte einem ein zeitgenössisches Motiv mit dem Wesen eines Bildes von Brueghel gezeigt.
Schielin drehte sich unschlüssig auf dem Absatz und lauschte dem Klingen nach. Es war eine gute Entscheidung gewesen, die Glocken der evangelischen und katholischen Nachbarkirchen klanglich aufeinander abzustimmen. Dadurch entstand auf der Insel ein ökumenisches Geläut, das dunkel und warm war und Körper wie Seele in ein wohliges Klangbad tauchte. Kein Scheppern, Quietschen oder Klirren störte diesen Wohllaut, der über die alten Mauern, Bastionen und Türme hinausreichte und im Grau über dem Wasser verklang.
So recht wusste Schielin nun gar nicht mehr, was er hier im Hafen wollte, und er machte sich auf den Weg zurück zum Stiftsplatz, reihte sich in die gewohnt übersichtliche Gruppe derjenigen ein, die dem Gottesdienst in St. Stephan folgen würden. Er nahm gleich in einer der ersten Bänke auf der rechten Seite Platz, jenen, die den Sitzenden mit einer halbrunden Holzschalung zuerst einluden und nach einer Viertelstunde deutlich machten, dass es nicht um Bequemlichkeit ging, die im Übrigen auch das alte Lederpolster vortäuschte, sondern dass bereits das Sitzen als solches als sakrale Übung angesehen wurde. Für Schielin waren diese Bänke schon immer ein Symbol protestantischen Zwangs und Kasteiung gewesen und trotzdem hockte er sich immer wieder in diese Erziehungssitze und nicht in die aufgeklärt weiten Sitzbänke der linken Reihe.
Die Klänge der Orgel lösten die Glocken ab und das linde Grün des Zierwerks erhellte die Seele. Die Musik war ein geeignetes Mittel Schielin in andere geistige Gefilde zu leiten, als es Liturgie und Predigt vermocht hätten,
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