Hafenweihnacht
denn da war er lästerlicherweise in Gedanken bei Drohst und Zindl.
Auf dem Rückweg vom Hafen war ihm vorhin der Richter begegnet, der die gleiche Idee wie er gehabt hatte, die entstandene Wartezeit zu füllen. Er tat es drüben im Münster. Sie hatten sich stumm und freundlich gegrüßt und es vermieden auch nur mit einem Ton jenen Sachverhalt anzusprechen, mit dem sie bald zu tun haben würden.
*
Zindls Anwalt vermittelte einen gleichermaßen hektischen wie mürrischen Eindruck. Ganz offensichtlich kam ihm dieser frühsonntägliche Termin äußerst ungelegen. Robert Funk war mit den uniformierten Kollegen gekommen, die Zindl auf die Insel chauffiert hatten.
Vom Amtszimmer aus sah man hinunter auf die Häuserreihen der Fischergasse. Während der Richter die Berichte und Protokolle studierte, blätterte und sortierte Zindls Anwalt laut raschelnd Unterlagen und schnaufte stark dabei. Zindl selbst saß still am Tisch und hielt den Kopf gesenkt. Schielin sah ihm an, dass weder die Nacht in der Zelle noch der schwerwiegende Vorwurf seine Haltung verändert hatten. Er wirkte nicht müde, nicht unsicher und schon gar nicht verzweifelt. Immer noch blitzte in seinen Augen, die Blickkontakten schnell auswichen, eine unangenehme Aggressivität. Er musste gut geschlafen haben. Schielin war gespannt, was er dem Haftrichter erzählen wollte.
Als der das Aktenstudium beendet hatte, forderte er Schielin mit einer Handbewegung auf zu sprechen. Der legte in wenigen Sätzen dar, wie sich die Situation am Tatort dargestellt hatte, erläuterte die Ergebnisse der Obduktion und kam dann sehr schnell zu der Situation, in welcher sie das Handy sowie die Brieftasche des Opfers bei Zindl hatten sicherstellen können – und dies zwei Tage nach dem Geschehen im Hafen und ohne eine schlüssige Erklärung des Beschuldigten, wie er in den Besitz der Sachen gelangt war. Zindls Anwalt machte weiterhin einen uninteressierten Eindruck. Er las mit abwesender Miene in den Berichten und schnitt intensiv Grimassen. Ein komischer Kerl, wie Robert Funk fand.
Der Haftrichter fragte dann die Personalien Zindls ab, registrierte ein festes Arbeitsverhältnis und den festen Wohnsitz in Wildberg. Der Richter fragte ruhig: »Wie war das in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, Herr Zindl? Wie sind Sie in den Besitz des Handys und der Brieftasche gekommen?«
Der Angesprochene sah fragend zu seinem Anwalt, der seinen über die Unterlagen gebeugten Oberkörper mit einer langsamen Bewegung aufrichtete und seinen Mandanten mit einer generösen Bewegung der Hand zu sprechen aufforderte.
Zindl sprach sicher und das ab und an hörbare Zittern hatte seine Ursache nicht in einer Unsicherheit, sondern war Bestandteil gewisser Laute. Als sein Vortrag Schielin betraf, ging ein Ruck durch seinen gedrungenen Leib und seine kleinen Äuglein blitzten böse, als er betonte, wie völlig zu Unrecht er einer schlimmen Sache verdächtigt werde. Fast wäre er laut geworden, hätte der Haftrichter nicht unterbrochen und höflich gebeten allein seine Frage zu beantworten.
Zindl war brav und berichtete vom vergangenen Donnerstag, an dem er in München gewesen war. Ein Termin in der Zentrale von ESOVITAL. Er ließ eine Pause entstehen, die niemand nutzte, eine weitere Frage zu stellen, und so sprach er weiter. Mit dem letzten Zug war er aus München gekommen und dann bis gegen zwei Uhr morgens im Marmorsaal gewesen. Der lag so praktisch, direkt im Bahnhofsgebäude. Von dort sei er durch den Hafen zum Büro von ESOVITAL gelaufen, weil er gleich am Morgen noch dringende Büroarbeiten hätte verrichten müssen. Aus diesem Grund hatte er die restliche Nacht im Büro verbracht. Auf dem Weg durch den Hafen, es sei so zwischen zwei und halb drei gewesen, habe plötzlich ein Handy geklingelt.
Diesmal unterbrach ihn der Haftrichter: »Da hat einfach so ein Handy geklingelt … im Hafen?«
Zindl rutschte auf dem Stuhl herum und setzte sich zurecht. »Hm. Da waren ja schon die ganzen Holzbuden für die Hafenweihnacht aufgebaut. Und über einige waren da so Plastikplanen gezogen, so wie man sie verwendet, wenn man die Wohnung weißelt. Die da unten waren etwas stärker, nicht so dünn. Als ich gerade bei einer der Holzbuden vorbeigelaufen bin, hat es hinter der Folie plötzlich aufgeleuchtet und so ein Handyton war zu hören. Da bin ich stehen geblieben und habe gewartet, dass da jemand das Handy nimmt. Aber das hat weitergeläutet, ganz laut, und es ist vibrierend auf dem Holzbrett
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