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Hafenweihnacht

Hafenweihnacht

Titel: Hafenweihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.M. Soedher
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Stunden mit ihm auf Tour gegangen, hinauf nach Hergensweiler, oder die kurze Runde über Streitelsfingen und Weißensberg. Doch diese kleine Flucht würde ihm heute nicht gelingen, denn er musste mit Marja zum Adventssingen nach Laimnau. Das hatte er versprochen und er würde es halten, auch wenn seine Gedanken weit entfernt von Krippelein, Schneeflocken, Joseph, Maria und dem Jesuskindlein sein würden. Beim Esel und beim Ochsen, ja, in dieser stummen Gesellschaft und am besten noch mit Stallgeruch, da würde er sich im Moment aufgehobener fühlen als in weihnachtsseliger Umgebung.

    Albin Derdes und seine Frau kamen auch mit und warteten bereits in feinem Sonntagsstaat. Als Schielin die Freude der beiden auf den Nachmittag sah, spürte er doch eine erste adventliche Aufwallung, und der Tote aus dem Hafenbecken verschwand für eine Weile.

    Eine massive Wärme empfing die Gäste in der Kirche Peter und Paul und sie bekamen nur noch ganz hinten Plätze. Es dauerte seine Zeit, bis alle Freunde und Bekannten begrüßt waren und mit dem ersten Lied des Chores St. Gallus aus Gattnau kehrte Ruhe in den Kirchenraum ein.
    Albin Derdes stupste Schielin bei der dritten Strophe von Gelobt sei der da kommt an und flüsterte mit bedeutungsvoller Stimme: »Des war ein ganz ein komischer Kerl.«
    »Wer?«, flüsterte Schielin zurück.
    »Na, der Drohst.«
    Schielin lehnte sich etwas zur Seite, um näher an Albin Derdes zu kommen. So leise wie möglich fragte er: »Ich denke, du kennst ihn nicht?«
    »Hab mich umgehört. Vom Heinrich, meinem Schwager, seine Cousine, von der ihrem Mann der Bruder, der hat lang in der Fischzuchtanstalt …«
    Schielin legte seine Hand auf Albin Derdes’ Arm. Der verstand und kürzte ab. »Also die Drohsts, die haben mit niemanden Kontakt gehabt, ganz eigene Leut waren des, und so fromm halt auch noch. Er muss schlimm gewesen sein und ist ganz plötzlich gestorben. Sie, die Frau, war wohl eher schon so mit den Leuten … na ja … gell. Hat kein schönes Ende gehabt und ist lang auf den Tod gelegen in ihrem Haus in Nonnenhorn. Und da munkelt man das eine oder andere.«
    »Und was wird so gemunkelt?«
    »Hat sie keiner besuchen dürfen.«
    »Hätte sie denn jemand besuchen wollen, wenn die so eigen waren?«
    »Ja, des schon. Manche hat es halt doch gereut, dass man sie so gar nicht gesehen hat. Wo der alte Drohst doch endlich gestorben war und man gemeint hat, nun tät es mit ihr besser gehen und man tät wieder mal zusammenkommen. Schulfreunde, weißt du. Da kann man sich vierzig, fünfzig Jahr nicht sehen, aber im Alter, da kommt des wieder, dass man die sehen will, mit denen man ganz früh zusammen war. Wirst des auch noch merken.«
    »Und wer hat das veranlasst, dass sie keinen Besuch bekommen hat?«
    »Der Sohn, hab ich gehört, der muss noch komischer gewesen sein wie der Alte.«
    »Und der hat die Mutter gepflegt?«
    Albin Derdes zog eine Miene, die seine Zweifel deutlich machten. Ihr Getuschel mussten sie nun beenden, denn Schielin erntete einen strafenden Blick von Marja. Er setzte sich wieder anständig hin und sah zur Bühne.
    Ein neuer Chor reihte sich vorne auf. Aufgrund der Geräuschkulisse aus Husten und Räuspern, dem Klappern und Knarren, das aus den Bankreihen und zusätzlich aufgestellten Stühlen kam, und nicht zuletzt seiner geistigen Abwesenheit wegen, hatte er nicht mitbekommen, woher dieser Chor stammte. Aus der näheren Gegend war er nicht. Vom Liederkranz Tettnang und Vogt kannte er einige Leute und die Wasserburger und Nonnenhorner sowieso. Er verzichtete darauf nachzufragen und blieb still. Die Männer und Frauen waren dunkel gekleidet und hatten bunte Schals um ihren Hals gebunden. Schielin war ehrlich gespannt und lauschte den drei Strophen des ersten Liedes. Ein englischer Titel: Once in Royal David’s City. Die Damen des Soprans und Alts richteten während der Darbietung ihre Augen verzückt zur Decke und schunkelten, verträumt und beseelt von den eigenen Klängen, im Takt der Musik. Es wäre nicht von Nachteil gewesen, ab und an einmal einen Blick auf die Noten zu werfen, fand Schielin, oder wenigstens auf den vergeistigt wirkenden Dirigenten zu schauen, der sich zwar redlich abmühte, dessen Körpereinsatz aber zumindest den Damen verborgen blieb. Die Männerstimmen fixierten ihn mit tiefer Ernsthaftigkeit und deuteten seine inständigen Bewegungen allein in der Weise, ihre Stimmen zu einem Fortissimo zu erheben, welches er mit noch heftigeren Bewegungen zu dämpfen

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