Hafenweihnacht
aufnahm, denn er gab als Adresse die Bäuerlinshalde in Lindau an. Das war gar nicht weit von ihm selbst entfernt, aber Zuger war ihm noch nie begegnet. Er musste dort sehr zurückgezogen leben. Zuger erklärte ihm, dass der Firmenstandort in Bregenz mit so vielen Vorteilen für die Firma behaftet sei, dass er das gar nicht anders hätte machen können, es aber kaum eine Stelle mit einem atemberaubenderen Blick auf See und Alpenkette gäbe, als die Bäuerlinshalde. Schielin widersprach ihm nicht, wobei ihm einige andere Orte einfielen, die er bevorzugt hätte. Aber das waren Luxusprobleme.
*
Er beeilte sich nach dem Termin zu Walter Lurzer zu kommen, der bereits in seinem Büro in der Bahnhofsstraße wartete und ihn überredete, mit ihm zum Mittagessen zu gehen. Schielin erzählte ihm dabei von Drohst und von ihren Mühen, im Fall voranzukommen.
»Und du?«, fragte Schielin, »hast was gerade?«
Walter Lurzer ächzte. »Schon, so eine blöde Sache, bei der wir noch auf ein Ergebnis warten. Ich weiß nicht, ob du von dem Toten in Hohenems gehört hast. War eigentlich eine ganz normale Angelegenheit zu Beginn. Vierundfünfzig Jahre, Herzprobleme, lag leblos im Vorraum der Hypo Hohenems.«
»Da am Bahnhof?«
»Ja. Ist gleich die Rettung gekommen, war aber schon zu spät. Hat alles auf Herzversagen hingedeutet, bis der Obduktionsbericht gekommen ist und unsere vermutete natürliche Todesursache dahin war: Einblutung am rechten Zungenansatz und im tieferen Zungengrund, bei deutlicher Beweglichkeit der Zungenbeingelenke und des rechten Kehlkopfbeines.«
Schielin verzog das Gesicht. »Au weh. Also mit natürlicher Todesursache geht da nichts. Da hat jemand nachgeholfen. Und sonst keine äußerlichen Spuren?«
Walter Lurzer verneinte. »Überhaupt nicht. Ich meine, es könnte ja auch von der Reanimation und dem Intubieren sein, aber … in der Bank … nur zwanzig Euro und Kleinkram in den Taschen. Ich habe da so meine Zweifel. Wir warten jetzt auf die Ergebnisse der Feinpräparation der betroffenen Bereiche.«
»Na, dann hast du ja auch ein schönes Weihnachtsrätsel am Tisch liegen.«
Beide schwiegen eine Weile und hingen ihren Gedanken nach.
Walter Lurzers Miene hellte sich mit einem Mal auf. Etwas anderes als die Toten von Lindau und Hohenems waren der Grund. »Du, ich habe schon einiges organisiert. Das klappt doch im Frühjahr? Wir haben gar nicht mehr darüber geredet seit dem letzten Treffen.«
Schielin erinnerte sich an das Wochenende im Herbst, an dem sie sich in Lindau getroffen hatten. Da hatten sie beide eine Tour mit Ronsard ausgeheckt. Walter Lurzer träumte von einer Wanderung mit Packesel über den Arlberg und hatte bereits Karten studiert und mit Bergbauern gesprochen; vom Klostertal auf Vorarlberger Seite sollte es über den Arlberg hinüber ins Tiroler Stanzertal gehen.
Immer wieder beschäftigte Walter Lurzer der Gedanke daran und sogar das diesjährige Weihnachten war ihm ein kleines Stück in den Hintergrund geraten. Schielin sah ihn an und strahlte. Auch er freute sich schon. Lurzer erzählte ihm von den zwei Berghütten, bei denen er bereits gewesen war, um wegen des Esels vorzufühlen. Es sei überhaupt kein Problem ihn unterzubringen und zu versorgen. Ganz im Gegenteil, wenn er von dem Esel erzählt hatte, war er auf Begeisterung gestoßen.
»Wir starten in Dalaas und über Grins, vorbei an Landeck gehen wir bis Fließ.«
»Sobald genügend Schnee weg ist und das Wetter passt, geht’s los«, meinte Schielin, »aber nur wir zwei.«
»Nur wir zwei.«
*
Erich Gommert war gut vorangekommen. Hundle hatte sich einmal mit einem kurzen Laut gemeldet. Ein Stück vor München hatte er einen Parkplatz angesteuert. Als er die Schiebetür öffnete, gab er das Fahrzeuginnere der Reisegruppe eines gegenüber parkenden Busses preis. Die verwunderten, lobenden, teils gierigen Kommentare konterte er mit einem lauten und strengen »Alles beschlagnahmt, alles beschlagnahmt!«.
Woraufhin die Diskussion sofort ihre Kreise über die kriminellen Machenschaften der Lebensmittelindustrie zog.
Je näher er der Stadt kam, desto trüber wurde der Himmel. Die Außentemperatur pendelte um null Grad und die ganze Welt war wie in dumpfes Grau getaucht.
Er verließ den Mittleren Ring auf der Donnersberger Brücke und bog von der Marsstraße zur monströsen Einfahrt zum LKA ab. Nach der Anmeldung passierte er die martialischen Schranken und Sicherheitsgitter, die sich aufreizend langsam bewegten. Langsame
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