Hafenweihnacht
von diesem Jochen Drohst. Ich denke, er war nicht von dieser Welt, sondern lebte in einer für ihn falschen Welt, in einer Welt mit Menschen, von denen die meisten jedenfalls über Empfindungen, Gefühle, Sensibilitäten und Emotionen verfügen. Damit konnte er nichts anfangen, verstehen Sie? Er lebte in einer gänzlich eigenen Welt, einer Welt der Zahlen, einer Welt der Grundrechenarten, mit klaren Ergebnissen und Abgrenzungen. Da fühlte er sich zu Hause, womöglich auch geborgen, heimisch. Wir brauchen an manchen Tagen das warme Licht einer Kerze, den warmen Körper eines anderen Menschen – er brauchte seinen Rechenschieber. Lachen Sie nicht, er hatte wirklich so ein altes Ding, mit dem er manchmal herumgeschoben hat.« Die letzten Worte hatte Zuger anzüglich ausgesprochen.
»Als Mensch haben Sie nicht viel von ihm gehalten«, stellte Schielin fest.
»Das wäre wohl die Wahrheit … richtig, weil ich ein Mensch mit Gefühlen bin. Aber ich will ihn nicht als Mensch bewerten, weil das ungerecht wäre.«
»Weshalb ungerecht?«
»Seine soziale Unfähigkeit war die eine Seite. Aber er hatte, bei aller Widrigkeit, die sein Verhalten für einen mit sich brachte, auch etwas, was einen mitleidig werden ließ.
Sehen Sie, er war ja ein rechter Kerl, so stämmig, wie er daherkam, und seine ungepflegte Erscheinung hat ihn wie einen Naturburschen erscheinen lassen. Aber das täuschte – er war von Ängsten geplagt. Die Sache mit dem Autofahren zum Beispiel, ach ja … und er hatte unbändige Angst vor dem Wasser … eigentlich hatte er Angst vor allem … wir haben mal einen ganz spontanen Ausflug auf den Pfänder hoch gemacht und er war gerade hier. Stellen Sie sich vor, es war völlig unmöglich ihn dazu zu bewegen, in die Pfänderbahn zu steigen!« Adrian Zuger atmete laut aus, als schmerze ihn alleine schon die Erinnerung an Drohst. »Dabei war er ja ein reicher Mensch, konnte aber mit all diesem Geld nichts, aber auch gar nichts anfangen. So etwas ist doch ein Jammer, oder? Und im Gegensatz zu diesem sozial unfähigen Verhalten stand seine außergewöhnliche Begabung mit Zahlen, Formeln, Werten zu spielen, seine Fähigkeit Abhängigkeiten in weitest entfernte Verzweigungen durchdenken zu können, sie dabei zu verstehen, mit ihnen zu jonglieren. Von dieser Gabe haben wir als Firma außerordentlich profitiert. Wenn Sie also eine Antwort auf Ihre Frage wünschen, dann müsste ich sagen, er war eine irgendwie kindlich, nein, kindhaft gebliebene Person mit dem Körper und dem Aggressionsverhalten eines Erwachsenen und einer genialen Ausprägung mathematischer Fähigkeiten. Ein tragische Person in der Welt, in der wir leben.«
Das war mehr, als Schielin erwartet hatte. »Wenn Sie vom Aggressionsverhalten eines Erwachsenen sprechen … war er physisch aggressiv, ich meine damit, war er gewalttätig?«
Adrian Zuger lächelte bitter. »Nein, da habe ich mich falsch ausgedrückt. Er war nicht gewalttätig, eher jähzornig, aufbrausend und in einer schmerzhaften Weise abweisend.«
Schielin wartete und störte Adrian Zuger nicht, der dastand und sichtlich in Erinnerungen weilte. Schielin wechselte anschließend das Thema. »Sie verfügen doch sicher über Firmenwagen, nicht wahr?«
Zuger stutzte. »Ja, sicher. Aus welchem Grund fragen Sie?«
»Nutzte Jochen Drohst einen Ihrer Firmenwagen?«
Adrian Zuger schloss die Türe zum Gang. »Nein, er benutzte keinen unserer Firmenwagen, weil er keinen Führerschein hatte. Angst, wissen Sie, er hatte Angst vorm Autofahren.«
Schielins Handy klingelte. Er nahm das Telefonat entgegen. Wenzel war dran und informierte ihn über das, was sie in Nonnenhorn hatten herausfinden können. Schielin wurde hellhörig, als der Begriff Prediger fiel und war einverstanden, diesen möglichst schnell zu befragen.
Auf dem Rückweg zu Zugers Büro fragte Schielin, ob etwas von einer Kirche, Sekte oder religiösen Gruppierung bekannt wäre, welcher Jochen Drohst angehört haben könnte. Zuger reagierte überhaupt nicht auf die Frage, schüttelte nur stumm den Kopf. Auch die Frage nach einem blauen BMW Geländewagen und nach einem Mann namens Zindl förderten bei ihm keine Erinnerung zutage. »Ich fahre zwar einen Geländewagen, aber es ist ein Audi Q7, und in Nonnenhorn war ich schon ewig nicht mehr«, meinte er.
»Audi Q7 … soso … schönes Reisemobil«, provozierte Schielin, doch Zuger ging nicht darauf ein.
Eine Überraschung erlebte Schielin, als er kurz darauf die Personalien von Zuger
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