Hahn, Nikola
glaubte ihm kein Wort. Ihr Blick
wanderte zur Geschworenenbank. In den Gesichtern der Männer zeigte sich keine
Regung. Durch die Fenster warf die Sonne Muster auf die holzvertäfelte Wand.
Die dunkelrote Tapete bildete einen interessanten Kontrast zu der in Blau und
Bronze gehaltenen Stuckdecke.
»Was
haben Sie mit dem Geld gemacht?« fragte der Vorsitzende.
Das
Geld hab' ich noch denselben Abend weggeschafft«, sagte Groß.
»Wohin
denn?«
»Ich
hab' es in den Main geworfen.«
Einige
der Zuhörer lachten. Laura sah sich verstohlen nach Gräfin von Tennitz um. Sie
saß in der letzten Reihe. Vor Verhandlungsbeginn hatten sie sich auf dem Flur die
Hand gegeben und ein paar freundliche Worte gewechselt, aber Laura hatte
gespürt, daß das Bild im Garten wie eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen
stand. Zwei Reihen vor Gräfin Tennitz
saß die
Frau von Kommissar Biddling und verfolgte mit ernster Miene das
Prozeßgeschehen. Ihr Mann und die anderen eingesetzten Beamten würden am
Nachmittag als Zeugen vernommen und waren deshalb nicht anwesend. Aber Laura
hatte gehofft, daß Martin kommen würde. Heiner Braun war auch nicht da.
Der
Vorsitzende hörte Stafforst zu den Anschuldigungen seines Kumpans und wandte
sich wieder Groß zu. Mit minuziöser Gründlichkeit ließ er sich nochmals den
Tatablauf schildern. Eine Zuhörerin gähnte verstohlen, eine andere schwenkte
gelangweilt ihren Fächer, eine dritte inspizierte die Angeklagten durch ein
Opernglas. Die Luft im Saal wurde unerträglich. Laura spürte ihr Kleid am
Rücken kleben und atmete auf, als die Sitzung um Viertel nach eins auf drei Uhr
vertagt wurde.
Um drei
waren weder Martin Heynel noch Heiner Braun aufgetaucht, dafür traf Laura
Kommissar Biddling und Paul Heusohn im Entree des Gerichtssaals, einem von zwei
Lichthöfen gerahmten Kuppelraum. Paul Heusohn begrüßte sie mit einem Lächeln,
Biddling war kurzangebunden. Fürchtete er, sie könnte die Rede auf Annika
Heusohn bringen?
Groß
machte eine Verbeugung, als er von zwei Schutzleuten in den Saal geführt wurde,
Stafforst hielt den Kopf gesenkt und schluchzte. Seitlich des Richtertisches
stand eine Tafel mit der Tatortzeichnung. Die Sitzung begann mit der Beweisaufnahme.
Der Weinhändler Cöster und Schutzmann Heinz berichteten, wie sie den Toten
gefunden hatten, Auslaufer Anton Schick wurde gehört, der Möbeltransporteur
Schrimpf und der Offenbacher Pferdehändler Strauß.
Anschließend
berichtete Kommissar Biddling über den Tatortbefund, Kommissar Beck sagte über
die Ermittlung der Täter aus, und Lichtensteins Bruder ballte die Fäuste, als
Staatsanwalt von Reden ihn fragte, ob sein Bruder sich gegen einen einzelnen
Mann hätte zur Wehr setzen können. »Diese beiden Gauner, diese beiden
Halunken!«
Als der
Richter die Sitzung um sechs Uhr schloß, behauptete Groß immer noch, unschuldig
zu sein.
»Gehen
Sie mit ins Rapunzelgäßchen?« fragte Laura, als Kommissar Biddling aus dem
Saal kam.
Er sah Paul
Heusohn an. »Nein. Wir haben noch zu arbeiten.«
Heiner
Braun saß in der Küche und las die Morgenzeitung, als es schellte. Vor der Tür
stand ein etwa zwölfjähriger Junge. Er hatte ein geflicktes Hemd und kurze
Hosen an.
»Ich
soll Ihne sache, daß Sie um halb zehn ins Krügche komme solle, Herr
Wachtmeister!« sagte er und rannte davon. Heiner sah auf seine Uhr und fuhr
sich über die Stirn. Obwohl es noch früh war, herrschte im Gäßchen schon
Schwüle. Er ging in die Küche zurück, las die Zeitung zu Ende und zog seine
Jacke an.
»Wo
willst du denn hin?« frage Helena.
»Einen
Bekannten treffen.«
Sie
hielt ihn am Ärmel fest. »Du denkst hoffentlich daran, daß du pensioniert
bist.«
Er
küßte sie auf die Stirn. »Ich werde eine rein private Unterhaltung führen.«
»So privat,
daß du dafür den Mordprozeß sausen läßt? Mach mir nichts vor, mein Lieber!«
Er
lächelte. »Ich habe bestimmt Hunger, wenn ich wiederkomme.«
Der
kürzeste Weg zur Kruggasse führte am Steinernen Haus vorbei über die Gasse
Hinter dem Lämmchen, doch Heiner überlegte, ob er nicht die entgegengesetzte
Richtung einschlagen und einen Umweg machen sollte. Es fiel ihm schwer, den
Anblick der zerstörten Häuser zu ertragen, die der geplanten Braubaustraße
weichen mußten. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Für
Sentimentalitäten war es entschieden zu heiß. In der Flucht spitzer Giebel
erhob sich massig und dunkel der Dom. Heiner hielt sich links, ging an uralten
Toreinfahrten und
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