Hahn, Nikola
lachte. Selbst ihr Lachen klang frei. Sie ritten so dicht an ihrem
Versteck vorbei, daß Victoria meinte, einen Hauch von Cornelias Parfüm zu
riechen. Mit einem lauten Ruf galoppierte Cornelia los, Hopf folgte. Benno hob
die Halfter auf und verschwand im Stall.
Victoria
war im Begriff, umzukehren, als Briddy mit einem Korb aus dem Haus kam. Sie
legte den Schlüssel unter einen Stein neben der Haustür und ging in Richtung Dorf
davon. Victoria überlegte keine Sekunde. Der Zufall hatte ihr eine Gelegenheit
in die Hände gespielt, die sich so bald nicht mehr bieten würde.
Immer
wieder schaute sie zu den Ställen, während sie sich dem Haus näherte. Von Benno
war nichts zu sehen. Sie schloß auf und legte den Schlüssel zurück. Im Flur
fühlte sie Nervosität und gleichzeitig ein aufregendes Prickeln. Sie dachte an
das sonderbare Päckchen aus Wien, mit dem Hopf im Keller verschwunden war und
an Richards Anmerkung Keine Arznei gefunden!, nahm die Lampe, die auf
einer Truhe stand und ging in den Keller. Es war stickig und feucht. Von einem
Berg Blechdosen drang ein penetranter Geruch. Sie erschrak, als eine Maus
heraussprang und eine Büchse scheppernd zu Boden rollte. Neugierig schaute sie
sich in den Gängen und Kellern um. Die
letzte
Tür war mit einem Schloß gesichert. Victoria überlegte, wo Karl Hopf den
Schlüssel versteckt haben könnte. Oder trug er ihn bei sich? Laut Richards
Aufzeichnungen hatte er schon einmal einen Schlüssel verloren, ein weiteres Mal
würde er das Risiko sicher nicht eingehen. Sie kehrte in den Flur zurück und
fand zu ihrem Glück einen gutbestückten Schlüsselkasten.
Ihr
Optimismus kehrte sich in Enttäuschung, als sie alle Schlüssel ausprobiert hatte.
Sie stellte die Lampe ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wieder
hüpfte eine Maus vom Tisch und verschwand in der Dunkelheit. Irgend etwas ließ
sie stutzen. Die Dose hatte sich nicht bewegt! Victoria nahm sie näher in
Augenschein und stellte fest, daß sie auf den Tisch genagelt war. Sie überwand
ihren Ekel, griff hinein - und hielt einen Schlüssel in der Hand. Diesmal war
es der richtige. In dem Keller standen große und kleine Fässer und Regale mit
Flaschen. Es sah aus wie in einem Weinkeller, es roch wie in einem Weinkeller,
und es gab nicht das geringste zu entdecken.
Sie
schloß ab und ging nach oben. Den Salon kannte sie, in die Küche warf sie einen
kurzen Blick. Im Bad stellte sie fest, daß sie einen Schmutzfleck im Gesicht
hatte. Sie wischte ihn weg. Kellergeruch stieg ihr in die Nase. Woher kam der?
Und welchen Zweck hatte die seltsam winklige Wand? Sie klopfte dagegen. Es
klang hohl. Lag das Bad nicht direkt über dem Weinkeller?
Bevor
sie zurückging, spähte sie nach draußen. Es war niemand zu sehen. Tatsächlich
gab es auch im Keller diesen abgemauerten Winkel. Davor stand ein großes
Weinfaß. Victoria entdeckte Scharniere an der vorderen Wand. Dieses Faß hatte
im Leben noch keinen Tropfen Wein gesehen! Mit etwas Mühe gelang es ihr, die
verborgene Tür zu öffnen. Der Winkel erwies sich als geheimer Treppenaufgang.
Er endete vor einer Tür, hinter der ein fensterloser Raum lag. Ein gut
bestückter Apothekerschrank stand darin, ein Sekretär und ein Labortisch mit
einem Mikroskop, Glaskolben, Tiegeln, Reagenzgläsern, Präparaten. Neben dem
Sekretär sah Victoria eine weitere Tür; sie war abgeschlossen. Sie untersuchte
die Fläschchen in dem Arzneischrank. Die Etiketten sagten ihr nichts.
In
einem Abfalleimer unter dem Tisch fand sie Packpapier mit der Anschrift des
Kralschen Instituts in Wien. Eine Messerspitze voll davon, und ganz
Frankfurt samt dem Taunusgebirge wären ausgelöscht. Ihr wurde kalt. Was,
wenn das gar kein Scherz gewesen war? Oder welchen Grund sollte Hopf sonst
haben, diesen Raum geheimzuhalten? Sie nahm ein Fläschchen mit weißem Pulver
und der Aufschrift Acidum ars. und ein gefärbtes Präparat, steckte
beides ein und wandte sich dem Sekretär zu. In der oberen Schublade lagen
Briefpapier und Kuverts, in der mittleren kolorierte Photographien einer
Pflanze. Beim näheren Hinschauen sah Victoria, daß es Aufnahmen der Belladonna
waren. In der unteren Schublade fand sie obszöne Photographien. Sie sah sie
durch. Beim vorletzten Bild stockte ihr der Atem. Die Frau war dick. Sie hatte
eine Peitsche in der Hand und trug eine Maske. Aber es war unverkennbar, wer
es war. Victoria brauchte eine Weile, bis sie sich gefaßt hatte. Sie steckte
die Photographie ein und fuhr
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