Hahn, Nikola
erschreckt zusammen. War da nicht ein Geräusch
gewesen? Hastig drehte sie das Licht herunter und versteckte sich im Treppenaufgang.
Sie hörte Schritte näherkommen und wagte nicht einmal, zu atmen. Ein Schlüssel
drehte sich im Schloß, und die Schritte entfernten sich. Was hatte das zu
bedeuten? Sie kämpfte ihre Nervosität nieder und drückte die Klinke. Die Tür
war zu. Eilig ging sie zurück, aber auch der Keller war verriegelt. Man hatte
sie eingeschlossen!
Sie
spürte, wie Panik in ihr aufstieg und rief sich zur Ruhe. Der Kutscher würde
merken, daß sie nicht zurückkam. Sicher würde er etwas tun, herkommen,
nachfragen. Die beiden Frauen und der Mann hatten sie auch gesehen. Und wenn
Hopf sie wegschickte? Wenn er behauptete, sie sei nicht dagewesen? Oder längst
wieder gegangen? Aber vielleicht war auch Briddy zurückgekommen und hatte
versehentlich den Keller zugesperrt? Sie schalt sich eine Närrin. Briddy wußte
sicher genausowenig von diesem Geheimgang wie sie davon gewußt hatte.
Das
Licht verlosch. Es war finster und still wie in einem Grab. Hopf hatte sie in der
Falle!
Kapitel
24
Abendblatt
Dienstag,
2. August 1904
Frankfurt
Zeitung und Handelsblatt
Im Senkkasten erstickt. Eine Dame, die jeden Morgen
mit ihrem Bernhardinerhund einen Spaziergang die Eckenheimer Landstraße
entlang durch die Kronstettenstraße zu machen pflegt, wurde heute früh kurz
nach 6 Uhr durch den Hund auf einen schwanen Gegenstand aufmerksam. Es war der
umgestülpte Rost eines Senkkastens. Aus dem offenen Senkloch schauten in
Erdhöhe ein paar Schuhe mit den Sohlen nach oben hervor.
Die Dame rief einen in einem Neubau
beschäftigten Polier, und als man näher zusah, entdeckte man, daß in dem etwa einen Meter tiefen Loch ein Mann derart steckte, daß
der Kopf in dem Senkeimer festgeklemmt und die Beine nach oben gerichtet
waren. Man benachrichtigte die Polizei und drei Männer hatten Mühe, den
bereits erkalteten Leichnam hervorzuziehen. Das Gesicht war schwarz.
In den Taschen der Leiche fand man ein leeres
Portemonnaie, eine Invalidenkarte mit italienischem Namen und eine Postkarte.
Der Tote ist der 33 Jahre alte italienische Arbeiter Romano Comoretto. Nach dem
Polizeibericht liegt zweifellos Selbstmord vor.
V ictoria kauerte sich zwischen die Fässer. Jedes Gefühl für Zeit
kam ihr abhanden, und ihre Angst wich einer dumpfen Gleichgültigkeit. Sie
schrak zusammen, als sie jemanden am Schloß hantieren hörte. Die Tür ging
knarrend auf. Sie sah den Schein einer Lampe.
»Na,
nun kommen Sie schon heraus!« sagte Karl Hopf. Hatte sie eine Wahl? Sie atmete
durch und stand auf. Ihre
Knie
zitterten. Hopf grinste. »Die Familie Biddling scheint eine Vorliebe für meinen
Keller zu haben.«
Auf
alles war sie gefaßt gewesen, aber nicht darauf, daß er sich lustig über sie
machte. Sie wollte an ihm vorbei, doch er hielt sie fest. »Was erwarten Sie?
Daß ich Sie jetzt in einem meiner Weinfässer ertränke?«
»Mein Kutscher
wartet im Dorf. Er wird
»...auch
noch eine Viertelstunde länger ausharren. Ich schlage vor, wir setzen das
Gespräch im Salon fort.«
Erleichterung
und Unsicherheit stritten in ihr. Im Salon forderte Hopf sie auf, sich zu
setzen. Er blieb stehen. Seine Augen waren grün wie ein Waldsee und genauso
unergründlich. »Dürfte ich erfahren, was Sie vorhatten?«
Victoria
schluckte. »Von wem haben Sie dieses Automobil geliehen?«
»Was
hat das mit meinem Keller zu tun?«
»Bitte
beantworten Sie meine Frage.«
»Der
Wagen gehört einem Geschäftsfreund. Der Name tut nichts zur Sache.«
»Und
warum nicht?«
Sein
Gesicht verzog sich. »Wenn hier jemand das Recht hat, Fragen zu stellen, dann
wohl ich.«
Victoria
sah ihn wütend an. »Haben Sie mit meiner Schwägerin nett parliert, während ich
in Ihrem Keller saß? Ich hoffe, Sie kamen auf Ihre Kosten, Herr Hopf!«
»Einen
kleinen Denkzettel hatten Sie durchaus verdient. Aber falls es Sie beruhigt:
Ich hatte das Vesper vergessen, ritt zurück - und sah Sie aus meiner Haustür
schauen. In Anbetracht der Umstände hielt ich es für ratsam, Cornelia vor Ihrer
Begrüßung zu verabschieden.«
»Ist
sie Ihre Verlobte?«
»Sie
ist eine gute Freundin. Wir teilen einige Passionen miteinander.«
»Mit
meiner Schwester teilen Sie auch einige Passionen?«
»Bitte?«
Sie
legte die Photographie auf den Tisch. Er zuckte die
Schultern.
»Wenn zwei sich einig sind, wo liegt das Problem?« Er nahm das Bild und steckte
es ein. »Ich kann Ihnen
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