Hahn, Nikola
verzerrte sich. »Wie können Sie es wagen, mir diese Ungeheuerlichkeit
zu unterstellen!«
»Wem
gehört das Automobil?«
»Warum
fragen Sie nicht Julius Bierbaum?«
Es gab
nichts mehr zu sagen. Nichts, das es gerechtfertigt hätte, eine Sekunde länger
zu bleiben. Victoria fädelte den Kristall von ihrer Kette und gab ihn ihm.
»Ich bin nicht die richtige Adressatin dafür. Leben Sie wohl.«
Karl
Hopf brauchte eine Weile, bis er fähig war, etwas zu tun. Er schloß das
Spiegelzimmer ab und blieb vor der Ahornvitrine in der Bibliothek stehen. Die
Masken glotzten ihn an. Er ballte die Faust und schlug zu. Scherben klirrten,
Blut tropfte.
Als
Victoria den Gasthof erreichte, hatte sie sich soweit gefaßt, daß sie dem
Kutscher in normalem Tonfall sagen konnte, wohin er sie bringen sollte. Maria
empfing sie im Renaissance-Salon. Victoria musterte ihr pausbäckiges, grell
geschminktes Gesicht und das mit üppigen Volants besetzte Kleid. »Was hast
du
damit gemeint, als du sagtest, Karl Hopf sei ein faszinierender Mensch?«
Maria
lächelte. »Ist er das denn nicht?«
»So
faszinierend, daß du ihm den Rücken blutig schlägst?«
Ihr
Lächeln gefror. »Was soll das?«
»Ich
habe dich auf einer Photographie gesehen. Sag mir, warum, Maria.«
»Das geht
dich nicht das geringste an, Schwester! Und wage es nicht, mit einer
Menschenseele darüber zu reden.«
Victoria
wollte etwas sagen, aber Maria schnitt ihr das Wort ab. »Glaube ja nicht, daß
ich nicht wüßte, daß deine vorgeblich selbstlose Eheanbahnung zwischen mir und
Theodor vor allem deinen Interessen diente! Dir war es herzlich gleich, was aus
mir wurde.« Sie lachte verächtlich. »Na ja, wenigstens ist mein Mann nicht so
ein Versager wie deiner. Und jetzt entschuldige mich.«
Victoria
war froh, daß sie niemandem begegnete, als sie nach Hause kam. Sie ging in die
Bibliothek, schloß ab und setzte sich an ihren Schreibtisch. Was, wenn Hopf
alles bloß inszeniert hatte, um sein perverses Spiel zu spielen? Und sie hatte
mitgespielt, unwissend, neugierig. Eine Dirne, die Schiller zitiert. Der Tod
eines Fabrikarbeiters, der nur ein Unfall war. Aber viel Platz läßt zum
Spekulieren. David vergnügt sich mit Männern, und Maria verprügelt sie. Alles
hübsch im Bild festgehalten. Und zwischendrin wird ein Klavierhändler erschlagen. Eine Studie in Scharlachrot. Der Faden schlängelte sich durchs Gewebe,
und was er zu verbinden schien, war eine Illusion. Die falsche Farbe eben. Und
ein Mensch machte aus Verzweiflung seinem Leben ein Ende. Es ist vor allem
auch Deine Schuld. Victorias Augen brannten. Sie fühlte sich müde und leer.
Karl
Hopf sah Marias Photographie an und legte sie in die Schublade zurück. Die
Sonne schien auf das Fläschchen. Das Etikett war mit Blut beschrieben. Briddy
servierte Kaffee. Im Hof wieherte Professor Moriarty. Hopf nahm einen Bogen
Schreibpapier
aus dem Sekretär, öffnete das Tintenfaß, tauchte die Feder ein.
Verehrtester
Dr. Doyle!
Erinnern
Sie sich an unser interessantes Gespräch, das wir seinerzeit in Southsea
führten? Sie haben diesen unsäglichen Sherlock Holmes gegen Ihren Willen
auferstehen lassen müssen, weil es die Leser verlangten. Dafür wollten wir sie
strafen. Revenge. Rache. Gift. Sie wissen schon. Das Leben ist ein Geschenk.
Manche verdienen es bloß nicht. Sie werden mit mir zufrieden sein.
Mit
einem Schrei warf Hopf das Tintenfaß an die Wand. Victoria fuhr hoch. Es
dauerte einen Moment, bis sie merkte, daß sie geträumt hatte. Jemand schlug
gegen die Tür. »Victoria! Mach sofort auf!«
»Gnädige
Frau? Sind Sie da drin?« rief Tessa.
Victoria
ordnete hastig ihr Kleid und öffnete. Rudolf Könitz' Gesicht zeigte Wut, aber
auch Erleichterung. »Himmel noch mal! Was treibst du?«
»Ich
bin eingeschlafen.«
»Und
dafür mußt du dich einsperren? Tu das ja nicht wieder!« Bevor sie etwas sagen
konnte, stapfte er davon.
»Ihr
Vater hat sich schreckliche Sorgen gemacht«, sagte Tessa.
»Hat er
angenommen, ich würde die Familie Könitz mit einem weiteren Selbstmord in
Schande stürzen? Bring mir meinen Mantel. Ich fahre aus.«
»Aber Ihr
Herr Vater
»Sagen
Sie meinem Herrn Vater, er braucht sich um mein gebührliches Benehmen keine
Sorgen zu machen. Zumindest nicht, bis ich weiß, wer meinen Mann auf dem
Gewissen hat.«
»Was
kann ich für Sie tun, Junge?« fragte Dr. Popp. Er stand vor seinem Mikroskop.
Der Abzug funktionierte wieder nicht. Es stank bestialisch.
Paul
Heusohn unterdrückte ein
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