Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
Vom Netzwerk:
Louise
Kubier um ein Gespräch. Victoria empfing sie in der Bibliothek. Zögernd nahm
die alte Zofe auf dem Sofa Platz. »Haben Sie etwas von Vicki gehört, gnädige
Frau?«
    »Es tut
mir leid. Nein.«
    Nervös
strich Louise ihr Kleid glatt. »Ich möchte Ihnen etwas sagen.«
    »Ist
die Arbeit zu anstrengend?« fragte Victoria freundlich.
    »Nein,
ich komme zurecht. Eins der Kinder, die Annika, hat mir gestern abend eine
merkwürdige Sache erzählt. Zuerst glaubte ich, die Kleine hat zuviel Phantasie.
Aber im nachhinein bin ich mir nicht mehr sicher. Sie sagt, sie habe ein Brüderchen,
das sei nicht im Himmel, obwohl ihre Mama es behauptet. Und daß sie das keinem
verraten darf, nicht einmal ihrem Bruder Paul. Ich weiß nicht, was ich davon
halten soll, gnädige Frau.«
    »Ehrlich
gesagt, ich auch nicht.«
    Louise
senkte den Blick. »Ihr Vater hat gesagt, daß er meinen Lohn nicht länger zahlt,
wenn ich nicht wieder im Haus arbeite.«
    Victoria
lächelte. »Keine Sorge. Dein Gehalt bekommst du in Zukunft von mir.«
    Kurz
vor Mittag klopfte Victoria an das Zimmer ihres Vaters. Rudolf Könitz saß
hinter seinem mächtigen Eichenholzschreibtisch und las Zeitung. »Ich muß mit
dir sprechen, Vater.«
    Er
schlug die Zeitung zu. »Das trifft sich gut. Ich auch mit dir. Und zwar wegen
Richards Tochter.« »Vicki ist auch meine Tochter!« »In ihrer Geburtsurkunde
steht etwas anderes.« »Amtliche Schreiben interessieren mich nicht.« »Wenn sie
nach Frankfurt zurückkommen will, sollte sie sich betragen, wie es sich für
eine junge Dame geziemt. Entweder heiratet sie Andreas Hortacker, oder
    »Vicki
wird keinen Mann heiraten, den sie nicht liebt«, stellte Victoria klar.
    »Ich
habe mich über diesen Heynel erkundigt. Ein Proletarier! Aufgewachsen im
schlimmsten Viertel von Frankfurt! Du kannst nicht im Ernst annehmen, daß ich
das billige.«
    »Ich
billige es auch nicht, Vater. Und ich bin sicher, daß Vicki vernünftig genug
sein wird, es einzusehen. Daß wir über Herrn Heynel einer Meinung sind, ändert
allerdings nichts daran, daß du endlich akzeptieren mußt, daß ich meine eigenen
Entscheidungen treffe. Das gilt für meine Töchter und auch für meinen
Freundeskreis.«
    »Spielst
du etwa auf diesen Wachtmeister an, der tagelang das Haus belagert hat?«
    »Herr
Braun ist«, sie verbesserte sich,»... er war Richards Kollege. Ich verlange,
daß du ihn entsprechend behandelst.«
    »Das
ist immer noch mein Haus!«
    »Mein
Mann ist tot. Meine Kinder sind in Berlin. Ich brauche dein Haus nicht mehr.«
    Er
stand wütend auf. »Und wovon willst du leben? Deine Kleider, deine Bücher
finanzieren? Etwa von der mickrigen Witwenpension deines dienstbeflissenen
Gatten, der es nicht mal fertiggebracht hat, anständig zu sterben?«
    Victoria
hatte Mühe, die Fassung zu wahren. »Georg hat mir Richards Erbe ausgezahlt. Ich
habe an Ernst geschrieben. Wenn sich auch Vicki entscheidet, in Berlin zu bleiben,
werde ich nach Indien reisen. Und jetzt entschuldige mich bitte.«
    Sie
verzichtete aufs Mittagessen und fuhr zu Richards Grab. Sechs Wochen war er
tot, ihr kam es vor, als sei es gestern gewesen. War nicht alles, was sie
trieb, die törichte Hoffnung, daß nicht sie selbst, sondern ein anderer die
Schuld trug? Sie wünschte, sie könnte weinen, aber sie hatte keine Tränen mehr.
    Früh am
nächsten Morgen fuhr sie zum zweiten Mal nach Niederhöchstadt. Diesmal ließ sie
den Wagen am Dorfgasthaus halten und bat den Kutscher, auf sie zu warten. Die
aufgehende Sonne färbte die Wölken rot, auf den Wiesen lag Tau. Zwei Frauen
tuschelten ihr hinterher, ein alter Bauer grüßte
    nickend.
Die Luft tat gut, das Gehen half, Gedanken zu ordnen. War Richard deshalb
immer zu Fuß zum Dienst gegangen? Plötzlich fühlte sie sich ihm sehr nahe. Sie
stellte sich vor, daß er neben ihr lief, und lächelte.
    Als sie
sich Hopfs Anwesen näherte, hörte sie ein Pferd wiehern. Professor Moriarty
und Mister Hyde standen gesattelt im Hof. Benno hielt den Fuchswallach an den
Zügeln, Karl Hopf half Cornelia von Tennitz beim Aufsteigen. Eine überflüssige
Geste, so gewandt, wie sie sich in den Sattel schwingt, dachte Victoria bitter.
War Cornelia etwa seine Verlobte? Der Gedanke versetzte ihr einen Stich. Die
beiden hatten keine Augen für ihre Umgebung, und Victoria gelang es, ungesehen
über die Wiese zu der Hüttenruine zu kommen. Sie duckte sich hinter ein Gewirr
verkohlter Balkenreste und beobachtete, wie sie losritten. Hopf sagte etwas,
Cornelia

Weitere Kostenlose Bücher