Hahn, Nikola
was treibt dich her?«
Paul
setzte sich zu ihm. »Ich wollte mich noch mal umsehen. Wissen Sie schon, daß
ich am kommenden Montag einen Termin bei Dr. Popp habe?«
»Ja.
Fräulein Rothe hat es mir gesagt.« Er sah ihn ernst an. »Dein Bemühen, Herrn
Biddlings Tod aufzuklären, ist löblich. Aber du darfst darüber nicht alles
andere vergessen. Nächtliche Ausflüge in Polizeirat Francks Büro und ähnliche
Abenteuer solltest du in deinem eigenen Interesse nicht mehr unternehmen.«
»Ich
bin es Kommissar Biddling schuldig! Und ich werde
»Nein,
Junge. Wenn du ihm überhaupt etwas schuldig bist, dann, daß du ein guter
Kriminalist wirst.«
Paul
lächelte. »Als solcher frage ich mich, warum Frau Biddling den umständlichen
Weg über den Sandhof genommen hat.«
»Weil
es die Forsthausstraße früher noch nicht gab. Und wie es aussieht, hat der
Mörder auch den alten Pfad gewählt. Am Sandhof sagte man mir vorhin, daß am Tag
des Gordon-Bennett-Rennens frühmorgens ein rotes Automobil vorbeifuhr. Leider
hat man nicht näher darauf geachtet.« Er seufzte. »Ich zerbreche mir den Kopf,
was das alles für einen Sinn haben könnte. Und ob die wahre Ursache für das,
was geschehen ist, nicht noch weiter zurückliegt, als wir glauben.«
»Was
meinen Sie damit?«
»An
dieser Hütte starben nicht nur Frau Biddlings Cousin und ihr Mann, sondern vor
vielen Jahren auch zwei junge Frauen. Und zwar auf sehr brutale Art und Weise.
Nach dem, was damals aktenkundig wurde, könnten die Angehörigen auf die Idee
kommen, daß nicht alles mit rechten Dingen zuging.«
»Wenn
der Mord an Herrn Biddling Rache war, verstehe ich nicht, warum so lange Zeit
dazwischen liegt.«
»Und
warum man mich ungeschoren läßt«, sagte Heiner. »Der Kommissar und ich haben
die Ermittlungen gemeinsam geführt. Und ich war es, der ihm diesen Ort gezeigt
hat.«
*
Kommissar
Beck stand am Fenster, als Victoria ins Empfangszimmer kam. Seine Aktenmappe hatte
er unter den Arm geklemmt, als befürchte er, jemand könne sie ihm stehlen.
»Sie werden entschuldigen, daß ich Ihre Zeit in Anspruch nehme, gnädige Frau.
Ich habe etwas abzugeben.« Umständlich öffnete er die Mappe und holte Edgar
Allan Poes Buch heraus. »Das gehört wohl Ihnen.«
»Ja«,
sagte Victoria überrascht. »Woher haben Sie das?«
»Paul
Heusohn hatte nichts Besseres zu tun, als es während des Dienstes zu lesen.«
»Ist
das so ein schlimmes Vergehen, daß Sie kommen und mich dazu verhören?« sagte
sie lächelnd.
Sein
Gesicht zeigte keine Regung. »Ich habe mit Ihrem Mann zusammengearbeitet. Schon
deshalb war es mir ein Anliegen, die Ermittlungen zu seinem Tod dezidiert zu
führen. Daß Sie seinen Selbstmord nicht wahrhaben wollen, ist verständlich,
aber lassen Sie gefälligst den Jungen da raus.«
Victoria
fühlte Zorn. »Wollen Sie mir unterstellen ...«
»Ich
bin nicht von gestern, Frau Biddling. Wenn Paul so weitermacht, bringt er sich
um Kopf und Kragen!«
»Finden
Sie es nicht schäbig, Sorge für einen Menschen zu heucheln, der Ihnen im Grunde
herzlich gleich ist, nur, damit Sie Ihre Fehler nicht einzugestehen brauchen?«
Sie nahm ihm das Buch ab. »Im übrigen kann ich meine Lektüre ausleihen, an wen
ich will.«
Er ging
ohne ein Wort.
»Sie wollten
mich sprechen?« fragte Heiner Braun.
Cornelia
von Tennitz nickte. Sie bat ihn in einen prachtvollen Wintergarten. Er
erinnerte Heiner an die Orangerie, die Eduards Mutter vor vielen Jahren gehabt
hatte. Unter einer ausladenden Palme nahm er Platz und sah die Gräfin
abwartend an. Er hatte schon viel von ihr gehört, aber noch nie mit ihr persönlich
zu tun gehabt. Sie war tatsächlich so schön, wie die Leute sagten, obwohl sie
seiner Meinung nach zuviel Schminke trug. Das Kleid mit dem hochstehenden Kragen
fand er etwas zu streng. Es paßte allerdings hervorragend zu der in akkurate
Wellen gelegten Frisur, die sehr tief in die Stirn gekämmt war und ihr Gesicht
wie in einen schwarzen Rahmen gefaßt scheinen ließ.
»Kann
ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Wachtmeister?«
»Nein,
danke. Im übrigen bin ich pensioniert. Die Dienstbezeichnung steht mir nicht
mehr zu.«
»So?
Immerhin sind Sie damit in die Laterna Magica gekommen.«
Sie sah
sein verblüfftes Gesicht und lachte. »Zilly war hier. Ich glaube, ich habe
Ihnen einiges zu erklären. Vorher würde ich allerdings gern das Märchen hören,
das sie Ihnen aufgetischt hat.«
Am
Sonntag vormittag, ihrem vierten Arbeitstag bei der Familie Heusohn, bat
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