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Hahn, Nikola

Hahn, Nikola

Titel: Hahn, Nikola Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Farbe von Kristall
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geschafft,
wo sie in Fabriken als billige Arbeitskräfte eingesetzt werden. Oder sie
vegetieren als Kostkinder dahin, die nur aufgenommen werden, um das Pflegegeld
zu kassieren.«
    »Wie
kann eine Mutter ihrem Kind so etwas antun!« empörte sich Laura.
    »Man
muß unterscheiden«, erklärte Heiner. »Viele dieser Mütter sind so arm, daß sie
nicht wissen, wie sie ihre Kinder satt
    bekommen
sollen. Oft sind es ledige Frauen, deren karger Lohn nicht ausreicht, das
Kostgeld für ihr Kind aufzubringen. Denken Sie an Anna Frick. Und dann gibt es die
Fälle, in denen Frauen aus besseren Kreisen ihre Unschuld bewahren und deshalb
das ungewollte Kind loswerden müssen. Auch dazu finden Sie entsprechende
Annoncen in der Tagespresse, die für den unbedarften Leser harmlos klingen.
Hebammen, Kurhäuser, Familien mit ärztlicher Betreuung beispielsweise, die jungen
Damen freundliche und diskrete Aufnahme anbieten - und eine ebenso diskrete
Lösung des Problems. Hinzu kommt, daß die Frauen nur zu gern glauben, was die
Vermittler ihnen erzählen: daß ihr Kind in eine gute Familie kommt, in der es
ihm an nichts fehlen wird. Bei einigen, vor allem bei Neugeborenen, mag das so
sein, aber es ist die Ausnahme.«
    »Man
muß das öffentlich machen! Den Frauen sagen, was ihre Kinder erwartet!«
schimpfte Laura. »Wofür haben wir schließlich entsprechende Stellen? Ich werde
gleich morgen in der Centrale für private Fürsorge vorsprechen!«
    Victoria
spürte, wie ihr heiß wurde. »Das Brüderchen ist nicht im Himmel, obwohl ihre
Mama das behauptet.« Heiner und Laura sahen sie verständnislos an. »Das hat
Paul Heusohns Schwester Annika am Samstag zu meiner Zofe gesagt.«
    Bevor
jemand etwas erwidern konnte, schellte es. »Das wird Paul sein«, sagte Heiner.
»Ich halte es für besser, wir sprechen später weiter.«
    Der
Junge strahlte, als er in die Küche kam. »Ich war vorhin bei Herrn Dr. Popp,
und ich habe interessante Neuigkeiten!« Er sah von einem zum anderen. »Was
schauen Sie denn so?«
    Heiner
zeigte auf einen Stuhl. »Hast du schon zu Abend gegessen?«
    Er
versuchte, sein Magenknurren zu überspielen. »Ja, sicher.«
    Heiner
stellte ihm Brot, Butter und Wurst hin. »Mit vollem Magen redet es sich
leichter, hm?«
    Paul
schmierte ein Brot und legte eine Scheibe Wurst darauf. »Erinnern Sie sich an
den Stein, den ich an dieser Hütte mitgenommen habe?« wandte er sich an
Victoria. »Wenn Ihr Mann
    wirklich
darauf gefallen wäre, dürfte er nur an der Oberseite Blutanhaftungen haben. Dr.
Popp hat aber festgestellt, daß sich auch an der Unterseite ein Blutfleck
befindet. Außerdem gibt es keinen einzigen Fingerabdruck von Ihrem Mann auf dem
Abschiedsbrief. Und das heißt
    »...daß
Richard ihn nicht geschrieben hat«, vervollständigte Victoria.
    »Ja.
Daraus folgt, daß jemand anderes ihn verfaßt hat, und das wiederum hat nur
Sinn, wenn es sich bei dem Selbstmord in Wahrheit um einen Mord handelte.«
    Victoria
hatte plötzlich das Gefühl, daß Richard ihnen zusah und lächelte. Gern wäre sie
jetzt ein paar Minuten allein gewesen.
    »Hat
Dr. Popp andere Fingerabdrücke festgestellt?« wollte Heiner wissen.
    Paul Heusohn
nickte. »Von Ihnen den rechten Zeigefinger und von Frau Biddling den rechten
Daumen. Und ein Teilabdruck stammt mit großer Wahrscheinlichkeit von
Polizeirat Franck. Aber...«
    »Sie
sollten Herrn Popp bitten, für alle Fälle nach den Abdrücken von Zilly und
Karl Hopf zu suchen«, unterbrach Laura.
    »Das
habe ich schon. Weder auf dem Brief noch auf dem Umschlag sind irgendwelche
Spuren von ihnen zu finden. Aber auf...«
    »Jemand,
der einen Abschiedsbrief fälscht, könnte Handschuhe tragen, um Fingerabdrücke
zu vermeiden«, gab Laura zu bedenken. »Insbesondere, nachdem diese
Beweismethode kurz vorher in einem öffentlichen Mordprozeß eingehend gewürdigt
worden ist.«
    »Bitte,
ich war noch nicht fertig. Auf dem Umschlag war ein Fingerabdruck, den Herr Dr.
Popp zunächst nicht eindeutig zuordnen konnte. Ich mußte erst noch mal Kaffee
servieren.«
    »Wie
bitte?« fragte Laura.
    »Bei
dem Abdruck handelt es sich ganz sicher um den linken Zeigefinger von
Oberwachtmeister Heynel«, sagte der Junge und biß in sein Brot.
     
    Kapitel
26
     
    Abendblatt
    Samstag,
13August 1904
    Frankfurter
Zeitung und Handelsblatt
     
    Polizeiliches. An das Polizeirevier Nr. 15 in Niederrad soll, wie
wir erfahren, eine Polizeiwache für den Stadtwald angegliedert werden. Zwei
uniformierte Schutzleute und zwei

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