Hahn, Nikola
Wie
immer machte der Oberwachtmeister keine Anstalten, dem Jungen etwas anzubieten.
Er zeigte auf einen Stapel Blätter. »Wenn ich aus dem Gefängnis zurückkomme,
ist das abgeheftet! Verstanden?«
»Könnte
ich Sie nicht begleiten?« fragte Paul.
Heynes
Gesicht verzog sich. Dann grinste er. »Warum eigentlich nicht?«
Wachtmeister
Kröpplin lehnte am Wachtresen und feixte. »Wen hast du denn da mitgebracht?«
»Irgendwann
muß der polizeiliche Nachwuchs mit den Realitäten des Lebens konfrontiert
werden, oder?« sagte Martin Heynel.
»Na,
hoffentlich kriegt das Jüngelchen keinen Schock, wenn er ein nacktes Weibsbild
sieht.«
Martin
lachte abfällig. »Keine Sorge, Kröpplin. Der ist das gewöhnt.«
»Sieht
mir aber nicht so aus.«
»Glaubst
du's mir, wenn ich dir verrate, daß er der Sprößling vom roten Käthchen ist?«
Kröpplin
starrte den Jungen an. »Und so was darf zur Polizei?«
»Was
soll das heißen?« fragte Paul Heusohn mit unterdrückter Wut.
Heynel
zuckte die Schultern. »Es war deine Idee, mitzukommen. Na ja, sicher ist es
interessant für dich zu sehen, wo deine Mutter zu Gast war.«
»Du
lügst!«
»Ich
kann mich nicht erinnern, daß ich dir erlaubt hätte, mich zu duzen, Heusohn.«
Kröpplin
fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »O ja. Ist 'ne Weile her, aber ich
erinnere mich. Sie war ein schnuckeliges Mädchen, die rote Käthe. Und so
willig.«
Bevor
Paul nachdachte, hatte er Kröpplin seine Faust ins Gesicht geschlagen. Brüllend
stürzte sich der Wachtmeister auf ihn. Paul wollte weglaufen, aber Martin
Heynel hielt ihn fest. Er bog ihm die Arme auf den Rücken, und Kröpplin schlug
zu.
»Sind
Sie übergeschnappt?« schrie Kommissar Beck von der Tür. »Lassen Sie sofort den
Jungen in Ruhe!«
Paul
Heusohn sank stöhnend auf die Knie. Kröpplin wischte sich das Blut von der
Lippe. »Fragt sich nur, wer hier wen in Ruhe zu lassen hätte.«
»Heusohn
hat Wachtmeister Kröpplin ohne Grund tätlich angegriffen«, sagte Martin Heynel.
»Offenbar überfordert ihn die Situation.«
Kröpplin
grinste. »Er hat wohl Angst, daß seine Mama in der Zelle sitzt.«
»Was
soll das?« sagte Beck unwirsch.
»Fragen
Sie ihn einfach«, entgegnete Kröpplin. »Und lassen Sie sich keinen Bären
aufbinden.«
»Dr.
Reich wartet«, warf Martin Heynel ein. »Einen schönen Tag noch, Kommissar.«
Die
beiden Männer verließen die Wache. Beck half Paul Heusohn auf die Beine und gab
ihm sein Taschentuch. »Was war los?«
Paul
wischte sich übers Gesicht. Beck sah ihn ungeduldig an. »Ich warte auf eine
Erklärung, Heusohn! Oder soll ich die Sache melden, wie sie Oberwachtmeister
Heynel geschildert hat?«
»Es
spielt keine Rolle mehr«, sagte der Junge und ging.
»Guten
Tag, Käthe«, sagte Heiner Braun.
Die
Kranke richtete sich mühsam in ihrem Bett auf. Über ihre eingefallenen Züge
glitt ein Lächeln. »Wachtmeister Braun! Wie schön, daß Sie mich besuchen.«
Heiner
schaute sich um. Das Zimmer war aufgeräumt, der Boden gefegt, das Fenster
geputzt. Auf dem Tisch stand ein Strauß Wildblumen.
»Die
hat Annika gepflückt«, sagte Käthe Heusohn. »Zusammen mit Fräulein Louise. Ich
wüßte gar nicht, was ich ohne sie täte.«
Heiner
stellte einen Stuhl neben das Bett und setzte sich. »Ich muß mit dir über etwas
sehr Ernstes sprechen, Käthe.«
Sie sah
ihn ängstlich an. »Geht es um die Arbeit von Paul? Schickt das Präsidium Sie?«
»Nein.
Ich bin als Privatmann hier, und als solcher bitte ich dich, mir eine ehrliche
Antwort zu geben.«
»Worauf?«
»Annika
hat gegenüber Fräulein Louise erwähnt, daß sie noch ein Brüderchen gehabt hat.«
»Annika
hat eine große Phantasie.«
»Käthe,
bitte. Ich muß die Wahrheit wissen.«
»Das
ist die Wahrheit.«
»Was
war mit Annika und Fritz Wennecke?«
»Herr
Kommissar Biddling hat mich dazu schon befragt.«
»Ich
glaube aber, daß du ihm nicht alles gesagt hast.«
»Doch,
Herr Braun.«
»Weißt
du denn nicht, was Martin Heynel behauptet?«
»Nein.
Was?«
»Daß
Paul Fritz mit dem Tod gedroht hat. Ich brauche dir sicher nicht zu sagen, daß
dein Junge nicht viel zu erwarten hat, wenn ein Oberwachtmeister gegen ihn
aussagt.«
Sie
fing an zu weinen. »Kommissar Biddling hat gesagt, daß ich mich nicht zu sorgen
brauche.«
Heiner
haßte sich für das, was er tat. »Wie du weißt, ist Herr Biddling tot. Die
Ermittlungen führt jetzt ein anderer Beamter. Der Unfall bei Pokorny wurde
vorsätzlich herbeigeführt. Und da fragt man
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