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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauer Angeline
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Mélanie zu und starrte sie an. »Das eine sind untergeordnete Arbeiten, die für eine Frau durchaus in Frage kommen! Das andere, verzeihen Sie, Madame, geht weit über die geistigen Fähigkeiten einer Frau hinaus!«
    »Ach!« Mélanie lachte hart auf. »Wenn Sie die Wahl hätten, zu sterben oder sich von mir behandeln zu lassen, dann würden Sie also lieber sterben, Monsieur?« Die Ironie troff geradezu aus ihren Worten.
    »Mäßigen Sie sich, Madame!« wies der Richter sie zurecht.
    Etwas leiser sagte Mélanie: »Wenn ein Mensch in den Abgrund zu stürzen droht, was kümmert ihn dann, ob die Hand, die ihn zurückreißt, die einer Frau oder die eines Mannes ist?«
    »Sie hat recht, verdammt, und wie sie recht hat!« schrie eine Alte aus den hinteren Reihen.
    Der Hammer des Richters fuhr nieder. »Gerichtsdiener, schafft das Waschweib hinaus!« Wütend starrte er die Alte an, die sich gebärdete, als wolle man sie aufs Schafott bringen. Sie brüllte und schrie um Gerechtigkeit, und dabei fluchte sie wie ein Müllkutscher.
    Erschöpft lehnte sich Borel zurück. Er zog die Stirn in Falten und dachte nach. Plötzlich klatschten seine Hände auf die Schenkel. »Alle Zeugen sind gehört, alle Anklagepunkte besprochen. Ein abschließendes Wort Messieurs, kommen wir zum Ende!« Er winkte mit der Hand, als wollte er ein paar Hühner verscheuchen. Man sah ihm an, daß ihm diese Sache nicht schmeckte. Madame Hahnemann hatte zu viele prominente Freunde, sogar den König kannte sie, wie man ihm zugetragen hatte. Und für die Armen war sie so etwas wie eine Heilige. Da war ihm ein ganz gewöhnlicher Mordfall bedeutend lieber.
    Sellard stand auf. Er ging eine Weile hin und her, rieb sich dabei das Kinn. Schließlich sagte er: »Es geht hier nicht um die Vorzüge der Homöopathie oder der Allopathie. Es geht auch nicht um die Frage, ob Madame Hahnemann tatsächlich ›aus den tiefsten Brunnen der Homöopathie‹ getrunken hat und sich darum für fähiger hält als die fähigsten Männer von Paris!« Er blieb stehen und musterte sie von oben herab, mit einem abfälligen Lächeln auf den schmalen Lippen. »Es geht einzig und allein um die Frage, ob sie über die nötigen Qualifikationen verfügt, die ihr erlauben, sich als Medicus zu betätigen. Und diese Qualifikationen hat sie eindeutig nicht! Vor dem Gesetz hat sie sich also schuldig gemacht und ist darum zu verurteilen. Ich zitiere Aristoteles: ›Denn das Recht ist nichts anderes als die in der staatlichen Gemeinschaft herrschende Ordnung, und ebendieses Recht ist es auch, das darüber entscheidet, was gerecht ist!‹« Er verbeugte sich kurz vor Borel und ging dann, ohne Mélanie eines Blickes zu würdigen, zurück zu seinem Platz.
    Chaix-D'Est-Ange stand auf und trat vor. Er sah zuerst den Richter an, dann Sellard. »› Summum jus summa injuria ‹ – das höchste Recht ist das höchste Unrecht!« erwiderte er mit einem Zitat Ciceros. »Recht und Unrecht! Legalität! Was sein darf und was nicht! Das mag hier zwar die Frage sein, aber ob sie auch die richtige Antwort bereithält, das bezweifle ich. Mir scheint in diesem Fall eine tiefere Betrachtung angebracht, die über das rechtliche Problem hinausgeht.«
    Monsieur Chaix-D'Est-Ange wußte, daß Borel zwei Kinder am Fieber gestorben waren. Darum sah er ihn an, als er fortfuhr: »Die Kindersterblichkeit ist hoch. Wir verlieren unsere Frauen im Kindbett, Epidemien raffen die Bewohner ganzer Städte hinweg. Die Allopathie steht dem ratlos gegenüber. Da kommt ein Dr. Hahnemann und will sich nicht mit dem zufriedengeben, was man ihm als gottgegeben hinzunehmen anträgt. Er hat den Mut zu forschen und entwickelt eine neue Heilmethode, die, das gebe ich zu, bei oberflächlicher Betrachtung etwas eigentümlich erscheint. Aber eben nur bei oberflächlicher Betrachtung. Beschäftigt man sich eingehender damit, und öffnet man seinen Geist für Erkenntnisse, die man zuvor nicht gelten lassen wollte, fügt sich alles zu einem logischen Bild.«
    Er faßte die wichtigsten Regeln der Homöopathie zusammen, dann erinnerte er an Galileo Galilei.
    »Dieser Mann hat vor gut zweihundert Jahren behauptet, die Welt sei keine Scheibe, sondern rund, und sie sei auch nicht das Zentrum des Sonnensystems. Er wurde von der Inquisition gezwungen, von seinen Theorien abzuschwören, und zu lebenslanger Haft verurteilt. Bis heute ist der Mann nicht rehabilitiert. Und doch, das wissen wir inzwischen, hatte er recht mit seiner Behauptung. Damit will ich

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