Hahnemanns Frau
Sébastien die Tür hinter sich zugezogen hatte, drehte sie sich um und sah die beiden Männer an. »Sagt mir – was nun?«
»Aber du freust dich ja gar nicht!« Sébastien faßte sie an den Schultern und schüttelte sie sanft. »Alles ist glimpflich abgelaufen! Du hättest Grund zu feiern!«
»Feiern!« Sie lachte hart auf, dabei hatte sie Tränen in den Augen. »Man sperrt mich nicht ein, aber ich habe auch nichts mehr, was meinem Leben einen Sinn geben könnte. Nicht einmal meine geliebte Arbeit ist mir geblieben – das einzige, das mich ein wenig über Samuels Tod hinwegtrösten konnte. Wovon soll ich existieren? Wer bin ich jetzt noch? Eine Frau, der man Hände und Füße gebunden hat, um sie dann in die Wüste zu schicken!« Sie warf beide Arme hoch und äffte den Richter nach. »›Heiraten Sie! Oder tun Sie sonst etwas, das Ihnen sinnvoll erscheint!‹ Als ob es sinnvoll sein könnte, sich einem ungeliebten Mann an den Hals zu werfen!«
Sie war wütend hin und her gelaufen. Plötzlich blieb sie stehen und raufte sich die Haare. »Ach, zum Teufel mit euch Männern!«
Sébastien trat hinter sie, drehte sie zu sich um und sah ihr tief in die Augen. »Und wenn es einer wäre … wenn es eine Verbundenheit wäre, die aus gegenseitiger Achtung bestünde? Du weißt, was du mir bedeutest.«
Mélanie öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Lange schwieg sie, dann hob sie plötzlich die Hand und fuhr Sébastien zärtlich durchs Haar. »Nein, mein lieber, guter Freund – nein, gerade darum nicht! Weil ich dich achte. Weil du mir neben Charles das wertvollste bist. Weil man die schönste Blume im Garten nicht schneiden darf, um sie ins Haus zu holen. Denn damit zerstört man sie.«
Sébastien senkte den Kopf. Mélanie legte eine Hand in seinen Nacken und sagte: »Ich liebe dich. Du bist mein Bruder, mein Freund, mein Vertrauter, du bist Hoffnung und Kraft für mich. Würde ich dich zu meinem Mann machen, würde ich das alles zerstören.« Sie seufzte und fügte flüsternd an: »Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich weiß nur, daß ich von der Homöopathie nicht lassen kann. Was wäre schon ein Adler ohne Flügel? Was wäre schon ein Anfang ohne ein Ende …«
Politische Wirren
23. Februar 1848, ein Jahr nach dem Prozeß
Mélanie verriegelte die Tür hinter Georg Jahr und starrte auf sein blutiges Gesicht. Man sah ihm das Entsetzen an. Keuchend griff er sich an die Brust und stieß ein paar sehr unfeine Flüche aus.
»Sie waren zu Tausenden!« preßte er hervor. »Sie haben Parolen gebrüllt und mit Steinen geworfen! Sie forderten, daß der Ministerpräsident entlassen wird! Was ist nur los in diesem Land?«
Vor sieben Monaten war Jahr nach Deutschland und Belgien abgereist, um dort Ärzten und Apothekern eine Einführung in die Homöopathie zu geben und sie für ihre Sache zu gewinnen. An diesem Tag war er zurückgekehrt und unversehens in diesen Tumult geraten.
Er zerrte sich den Überzieher von den Schultern und gab ihn Rose, dann folgte er Mélanie in den Salon. »Natürlich habe ich mitbekommen, daß in Frankreich der Unmut gärt – aber mit so etwas habe ich nicht gerechnet!«
Mélanie drückte ihn auf einen Stuhl und begutachtete die Wunde an seinem Kopf. »Nur eine kleine Platzwunde – es ist nicht so schlimm, wie ich auf den ersten Blick vermutete.« Sie sah Rose an. »Bring mir eine Schüssel mit heißem Wasser, etwas Mull und Verbandszeug.«
Rose ging, und Mélanie wandte sich wieder an Jahr.
»Die Unruhen gären schon länger, aber seit gestern sind sie offen ausgebrochen. Auslöser war vor allem die Politik Guizots, der sich lautstark gegen eine Verbesserung der Sozialgesetzgebung aussprach und den König mehr und mehr auf seine Seite zog. Hinzu kam, daß er Bankette verbieten ließ.«
»In Paris? Unmöglich! Warum hat er das getan?«
»Bankette waren in letzter Zeit ein beliebtes Manöver, um das Verbot politischer Versammlungen zu umgehen. Nun traf man sich eben zum Essen und zum Trinken und schwang dabei kräftig politische Reden. Zu Anfang hielt sich das noch in Grenzen, und man ließ die Betreffenden stillschweigend gewähren. Doch die Stimmen wurden durchdringender, die Verlautbarungen immer noch provokanter.« Mélanie zuckte die Schultern. »Was nützt auf der einen Seite das Verbot politischer Versammlungen, wenn auf der anderen Seite auf einem Bankett jeder ungestraft flammende Reden schwingen kann!«
Jahr nickte, und Mélanie fügte an: »Dies alles und einiges
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