Hahnemanns Frau
mir, daß sich sogar die Presse genötigt sieht zu berichten«, sagte sie, als Charles hereinkam.
Er blickte sie besorgt an und nahm ihr die Zeitung aus der Hand. »Du bist blaß und siehst müde aus. Belaste dich nicht mit diesen Artikeln! Laß uns mit einer Droschke in den Bois de Boulogne fahren und ein wenig Spazierengehen.«
»Ach Charles …« Sie stand auf, umarmte ihn und legte ihren Kopf an seine Schulter. »Wann darf ich endlich wieder ein wenig glücklich sein?«
Als sie später den Gerichtssaal betrat, erlebte sie eine Überraschung. Mehr Bänke waren aufgestellt worden, und einige ihrer prominenten Freunde und Patienten waren als Zuschauer erschienen. Der Dirigent Philippe Musard stand demonstrativ auf und verbeugte sich vor ihr – was der Richter ebenso demonstrativ übersah.
In zweiter Reihe entdeckte Mélanie Raymond Gayrard mit seiner Frau Eudonie. Gayrard, Ritter der Ehrenlegion, war Bildhauer. Er stellte seine Büsten berühmter Leute seit Jahren im Salon aus. Auch François Vincent Raspail erspähte sie unter den Zuschauern. Er saß neben Sébastien und nickte ihr mehrmals heftig zu, so als wolle er sagen: Sie schaffen das, Madame! Lassen Sie sich nicht unterkriegen!
Sellard, der Generalstaatsanwalt, hatte eine Madame Meunier als Zeugin geladen, die bestätigte, daß Mélanie Madame Broggi Arzneien geschickt hatte; sie vergaß auch nicht den Hinweis, daß Madame Broggi bald darauf gestorben war und also Mélanie ihren Tod verursacht haben mußte.
»Solche Mutmaßungen sind nicht Ihre Sache!« fuhr Monsieur Chaix-D'Est-Ange sie scharf an.
»Und eine Zurechtweisung der Zeugin ist nicht die Ihre!« Richter Borel warf Mélanies Anwalt einen strengen Blick zu.
Madame Meunier wurde entlassen, einige andere Zeugen aufgerufen. Schließlich brachte der Generalstaatsanwalt den Vorwurf der Schicklichkeit ins Spiel.
Es kostete Mélanie einige Mühe, ruhig zu bleiben. Sie hörte sich die Vorwürfe an und versteckte dabei die geballten Fäuste in den Falten ihres Kleides.
»Mit der Schicklichkeit nimmt es Madame Hahnemann ohnehin nicht so genau.« Sellard baute sich vor ihr auf, dann sah er den Richter an. »Wie man weiß, unterhielt sie bereits zu Lebzeiten ihres angeblich so geliebten Gatten ein Verhältnis zu einem gewissen Sébastien Colbert, und ihren ›Grande Homme‹, wie sie Dr. Hahnemann so gerne nannte, verscharrte sie ohne Sitte und Anstand zusammen mit ihren beiden anderen …«
Monsieur Chaix-D'Est-Ange war so plötzlich neben ihm, daß es für einen Moment sogar Sellard die Sprache verschlug. »Gerüchte – nichts als Gerüchte und Beleidigungen!« fauchte er. »Es erstaunt mich, daß der Generalstaatsanwalt es nötig hat, mit faulen Eiern zu werfen! Meine Mandantin hat sich niemals etwas in dieser Richtung zuschulden kommen lassen. Und selbst wenn – es hätte nichts mit dieser Sache zu tun!«
Die beiden Männer maßen sich mit Blicken. »Wenn Sie uns schon zwingen, hier über Schicklichkeiten zu verhandeln, Monsieur Generalstaatsanwalt, dann beschränken Sie sich bitte auf die Sache an sich.«
Mélanie hob die Hand und sah ihren Anwalt an. »Ich würde gerne etwas dazu sagen, wenn ich darf.«
»Meine Mandantin bittet um das Wort.«
»Bitte«, erlaubte Borel.
Blaß und gefaßt sah sie von Borel zu Sellard, dann schaute sie Orfila an, der dasaß, als ob ihn das alles nichts anginge. Man merkte Mélanie an, welche Anstrengung es sie kostete, die nötige Fassung zu wahren.
»Wenn wir Frauen als Ärztin geächtet werden, weil es angeblich unschicklich ist, daß eine Frau einen Mann befragt und ihm vorschreibt, welche Arznei er zu nehmen hat, dann möchte ich an die Schwestern in den Krankenhäusern erinnern – und an die mutigen und tapferen Frauen, die mit Kaiser Napoleon in den Krieg zogen, um die Verwundeten zu versorgen. Diese Frauen verbinden, berühren, pflegen und waschen die Kranken. Hier scheint es keine Schranken der Schicklichkeit zu geben. Wenn aber eine Frau gut genug ist, kranke Männer zu pflegen, dann muß sie auch gut genug sein, sie zu heilen.« Mélanie sah wieder zum Richter. »Ich verstehe natürlich, daß in der einen Sache ein Interessenkonflikt besteht und in der anderen nicht – denn welcher Mann gehobenen Standes möchte schon mit einer Krankenschwester tauschen?«
Orfila war bleich geworden. Er beugte sich zum Generalstaatsanwalt und flüsterte ihm etwas zu.
Nun stand Sellard auf. Sein Blick war haßerfüllt. Er kam um den Tisch herum auf
Weitere Kostenlose Bücher