Hahnemanns Frau
einen Epileptiker als Patienten, der Barré hieß. Der Mann war zwei Jahre lang von einem gewissen Larote behandelt worden, einem Scharlatan, der ihm nur das Geld aus der Tasche zog. Monsieur Barré konsultierte mich ebenfalls nach einem schweren epileptischen Anfall, der zu einer Serie akuter Schübe gehörte. Wir gaben ihm während der akuten Anfälle alle zwei Stunden Valeriana. Als die akuten Schübe dann nachgelassen hatten, zeigte er Symptome, die auf Cuprum hinwiesen. Wir gaben es ebenfalls alle zwei Stunden. Später behandelten wir mit Sulfur weiter. Monsieur Barré wurde vollkommen gesund. Als er nach zwei Jahren wegen einer anderen Sache wiederkam, berichtete er, daß er seitdem keinen einzigen Anfall mehr gehabt hatte.«
Eine Weile schwiegen die beiden Männer. Samuel stopfte seine Pfeife nach und paffte vor sich hin. »Und wie geht es mit Ihrer Zeitschrift?« fragte er schließlich.
»Auch darum bin ich hier. Ich wollte Sie um ein paar Monate Beurlaubung bitten. Es wäre gut, wenn ich mich selbst um den Vertrieb und einiges andere kümmern könnte. Ich habe vor, für einige Zeit nach Belgien zu reisen, um dort meine Zeitschrift einzuführen. Pierre Sigisberg Dam, ein Apotheker aus Brüssel, der begeisterter Anhänger der Homöopathie ist, will mich unterstützen. Natürlich werde ich nur reisen, wenn Sie für eine Weile auf meine Mitarbeit verzichten können.«
Samuel blies den Rauch aus, schürzte die Lippen und dachte nach. »Es gibt da einen jungen Arzt unter meinen Schülern, Dr. Nicolas Deleau, der scheint mir recht begabt zu sein. Ich werde mit ihm reden, ob er eine Weile unser Assistent sein will. Einfachere Fälle kann man ihm schon anvertrauen.«
»Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis.«
»Ihre Zeitschrift, mein lieber Jahr, ist ebenso wichtig wie Ihre Arbeit bei mir. Wir müssen alles tun, die Homöopathie zu verbreiten und Kollegen, die bereit sind, ganz und gar nach ihren Regeln zu behandeln, umfassend zu informieren.«
Es klopfte, und plötzlich flog die Tür auf. Mélanie stürmte herein. In ihrem Gefolge waren Charles und Sébastien.
»Bonsoir, Monsieur Jahr!« Sie reichte Georg die Hand und küßte Samuel auf die Wange.
»Du bist ja ganz kalt, liebes Kind!« Samuel nickte Charles und Sébastien zu, die sich vor ihm verbeugten und sich dann fröstelnd die Hände rieben. »Hattet ihr einen schönen Nachmittag?«
»Wunderbar! Sébastien hat gestern bei Notre-Dame ein kleines Karussell mit weißen Pferden gesehen. Wir waren gerade dort und fanden es auch noch vor. Stell dir vor, wir konnten den Besitzer überreden, zu deinem Geburtstag sein Karussell in unserem Garten aufzustellen.«
Samuel nahm Mélanies Hand und küßte sie zärtlich. »Ich kann mir schon vorstellen, wie eure Überredungskünste ausgesehen haben. Du hast deinen ganzen Charme eingesetzt und dem Mann vermutlich auch noch das Versprechen gegeben, deine Börse sehr weit zu öffnen.«
Sie lachte. »Ach, mein Lieber, du wirst 88 Jahre alt! Zweimal die Lemniskate! Das ist eine Glückszahl, das müssen wir noch schöner und noch größer feiern als sonst!«
Sie sah zu Georg Jahr. »Rose deckt gerade den Tisch für ein Abendessen. Haben Sie Lust zu bleiben?«
»Gerne, Madame.«
Eine halbe Stunde später saßen alle bei Tisch. Bette, die Köchin, hatte gedünsteten Fisch und gekochte Kartoffeln mit Butter und Senf zubereitet. Dazu gab es einen leichten Weißwein, nur Samuel trank wie immer Wasser, mit ein paar Löffeln Champagner vermischt.
Man lachte und erzählte sich Geschichten. Sébastien brachte Sues Roman Les Mystères de Paris, der in den Armenvierteln von Paris spielte und zur Zeit als Fortsetzungsroman in der Morgenzeitung abgedruckt wurde, ins Gespräch.
»Kennen Sie ihn, Madame?«
»Den Roman? Natürlich – ich lasse mich morgens eine Viertelstunde früher wecken, um gleich die neue Folge lesen zu können. Er berührt mich tief. Und ich weiß, daß man Sue unter den Armen sehr verehrt.« Sie trank einen Schluck und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. »Eugène, mein Kutscher, hat mich gebeten, ihm die Morgenzeitung zu überlassen, sobald wir sie gelesen haben. Er nimmt sie dann mit nach Hause. Dort versammelt sich die ganze Familie, und man läßt sich von einem der Söhne den Roman vorlesen. Anschließend wird die Zeitung an die Nachbarn weitergegeben, wo man den Roman ebenfalls liest. Schließlich bringt ihn die Tochter der Nachbarn ins Armenhaus, denn dort wartet man bereits begierig
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