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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauer Angeline
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darauf.«
    Charles nickte. »Einen Roman über die Armen von Paris zu schreiben ist eine Sache. Daß es Sue aber gelungen ist, sogar die Betroffenen selbst anzurühren, eine andere. Sie betrachten ihn als ihren Verteidiger!«
    Das Mädchen kam, räumte ab und servierte als Nachtisch Weingelee und Mandeltorte. Dann gingen alle in den Rauchsalon. Samuel zündete sich seine Pfeife an, die drei anderen Männer rauchten Zigarren, und Mélanie ließ sich ein Glas Orangenlikör einschenken.
    Sébastien nahm das Gespräch wieder auf. »Ich bin heute morgen nach Montrouge geritten, um eine geschäftliche Angelegenheit zu regeln. Dabei kam ich an der Baustelle der neuen Stadtmauer vorbei. Man hatte gerade einen schauerlichen Fund gemacht – sieben Kinderleichen und die eines Hundes hatte man ausgegraben. Das heißt, viel war nicht mehr übrig von den bedauernswerten Geschöpfen. Nur noch die Skelette und etwas verwestes Fleisch, das in Fetzen von ihnen hing. Unmöglich, sie zu identifizieren. Ersten Gerüchten zufolge könnte es sich aber um Kinder handeln, die kurz nach der Julirevolution aus einem Waisenturm verschwanden. Erst eins, dann drei, dann nach und nach die anderen drei.«
    Charles nickte. »Ja, ich erinnere mich, daß damals auch ein Hund verschwand – einer, der im Waisenturm als Rattenfänger geduldet war und der mit den Kindern Freundschaft geschlossen hatte.«
    »Damals hieß es, die Kinder hätten sich davongemacht und den Hund mitgenommen.«
    Sébastien sah dem Rauch seiner Zigarre nach. »Unter diesen Umständen liegt allerdings die Vermutung nahe, daß der Hund die Kinder verteidigen wollte und darum ebenfalls dran glauben mußte.«
    »Daß solche Verbrechen überhaupt möglich sind, liegt an der verdammten Doppelmoral!« Mélanie stellte ihr Glas hart auf den Beistelltisch. Solche Themen brachten sie in Rage. »Man verteufelt die unehelich geborenen Kinder und überläßt sie ohne Recht und Gesetz ihrem Schicksal! Aber was können sie dafür, daß ihre Eltern nicht verheiratet waren oder verheiratet, aber nicht miteinander? Und überhaupt – warum sind immer nur die Frauen schlecht, wenn sie unehelich schwanger werden? Haben denn die Männer nichts damit zu tun?«
    Weil alle betreten schwiegen, fuhr Mélanie fort: »Wir konnten froh sein, daß wir die Waisentürme hatten. Lamartine und seine politische Genossen haben einmal lange genug darum kämpfen müssen! Zwar macht es mich wütend, daß die biologischen Väter und Mütter mit ihren unehelichen Sprößlingen nichts zu tun haben wollen, aber immerhin wurden die Kinder dank der Waisentürme nicht mehr umgebracht, um sie aus dem Weg zu haben. Und jetzt … weil der Staat sich nicht mehr kümmern mag, wird einfach behauptet, daß die Zahl von Kindesaussetzungen so angestiegen ist, weil es die Waisentürme gibt! Prompt wird ein Waisenturm nach dem anderen geschlossen, und die Kinder werden wieder umgebracht wie die Ratten! Ist das denn nicht hanebüchen?«
    »Du hast recht, meine Liebe.« Samuel griff nach Mélanies Hand. »Wir alle geben dir recht. Nur – was können wir tun?«
    »Nicht immer nur zusehen! Auf die Barrikaden gehen! Unsere Meinung kundtun! Handeln!«
    »Aber du tust doch schon genug.« Charles kam zu Mélanie und küßte sie auf die Wange. »Damals, als unser Großvater starb, hast du mich und Éa bei dir aufgenommen, obwohl du selbst noch so jung warst. Heute gehst du trotz all deiner Arbeit in die Armenviertel, um dort zu helfen. Trotzdem hast du immer noch das Gefühl, zuwenig zu tun?«
    Sie schüttelte den Kopf und strich Charles liebevoll eine Haarsträhne aus der Stirn. »Aber nein, es geht nicht um mich. Es geht um uns alle, um die Bürger Frankreichs! Um die Menschen überall! Wir müssen die Dinge in unseren Köpfen verändern. Die Waisentürme abzuschaffen, weil durch sie die Anzahl der unehelichen Kinder offensichtlich wird, ist genau so falsch, als würde man das Licht löschen, um nicht mehr zu sehen, wie schmutzig man ist. Und es ist genau so falsch, wie das Unterdrücken von Krankheiten, so wie es die Allopathie handhabt. Wir behandeln homöopathisch, um den Körper zu veranlassen, seine dynamische Kraft zu stärken und sich selbst zu heilen. Unter Umständen werden dadurch die Symptome für kurze Zeit verstärkt. Doch die Krankheit wird letztendlich bezwungen. Die Allopathie unterdrückt die Symptome, wodurch die Krankheit nach innen geht und an anderer Stelle andere Symptome produziert. Zusätzlich wird der Patient

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