Hahnemanns Frau
auch noch durch viel zu stark dosierte Drogen vergiftet. Genauso verhält es sich mit der Moral. Männer tun alles, um eine Frau ins Bett zu bekommen. Ist es gelungen, sagen sie, die Frauen seien schlecht. Und kommen dann Kinder zur Welt, bringt man diese lieber um, als sich mit ihnen und der eigenen Doppelmoral zu konfrontieren.«
Sie stand auf und ging zu Samuel. Sie stellte sich hinter ihn, legte ihre Hände auf seine Schultern und sah dabei Charles an. »Vielleicht ist dir nun klar, mein Lieber, warum mir die Homöopathie so wichtig ist. Sie entspricht der reinsten Lehre des Seins. Sie bringt nach oben und nach außen, statt zu verstecken und zu vertuschen.«
Mélanie beugte sich zu Samuel und küßte ihn lächelnd auf die Stirn. »Ich bin müde, Liebster, ich gehe zu Bett.« Sie sah die anderen an. »Aber laßt euch nicht stören. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend.«
»Gute Nacht, Madame Hahnemann.« Die Männer standen auf, verbeugten sich und sahen ihr nach, bis die Tür hinter ihr zufiel.
»Sie ist eine wunderbare Frau«, sagte Georg Jahr.
»Ja, das ist sie!«
Das Karussell
Der Winter ging, das Frühjahr kam. Zu all ihrer Arbeit mußte Mélanie nun auch noch das Geburtstagsfest vorbereiten. Sie schrieb Briefe an Menschen, die Samuel besonders wichtig waren, stellte mit Bette, der Köchin, einen Speiseplan zusammen und zusätzliches Personal ein. Sie ließ sich sogar ein neues Kleid schneidern und den Garten mit Blühpflanzen und Lampions bestücken.
Auch das Karussell wurde wie geplant aufgestellt. Zwar war es im April am Abend noch kühl, aber mit ein wenig Glück konnte man sich für ein oder zwei Karussellfahrten auch draußen aufhalten.
Daß Samuel oft über Müdigkeit klagte und abends früher zu Bett ging, irritierte Mélanie nicht. Sie hielt es für seine Art, sich dem ganzen Trubel zu entziehen. Er liebte Feste, aber die Vorbereitungen störten seine täglichen Rituale.
Zwei Tage vor dem Fest kam Sébastien. Mélanie stand gerade an der Tür und verabschiedete den Boten, der ihr die neuen Schuhe gebracht hatte. Sie waren passend zum Kleid angefertigt worden.
Sébastian küßte ihre Hand und folgte ihr nach drinnen. Dort sah er zu, wie sie den Karton auf die Konsole stellte, den Deckel abhob, das Seidenpapier zurückschlug und ein paar dottergelbe Atlasschuhe herausnahm.
»Schau nur, wie schön sie geworden sind!« Ihr Zeigefinger zeichnete den kleinen, sichelförmigen Absatz nach, strich dann über die Paspelverzierung der Vorderkappe und die Bänder, die man um die Knöchel band.
»Ja, sie sind wirklich sehr schön. Und es tut mir leid, daß ich das Kleid dazu nicht sehen werde.«
Mélanie sah ihn an. Erstaunen lag in ihrem Blick. »Ja, wirst du denn nicht zum Fest kommen?«
»Ich bedauere es sehr, aber ich muß nach England. Ein Schiff der Stella-Compagnie ist verlorengegangen. Außer der Besatzung waren zwölf Passagiere an Bord und eine wertvolle Ladung. Stoffe, Edelsteine, Gewürze … ich muß heute noch abreisen.«
Mélanie stellte die Schuhe zurück in den Karton, kam zu ihm und nahm seine Hände. »Das ist schade. Wir werden dich vermissen.«
»Ich hätte auch viel lieber mit euch gefeiert.«
»Und wie lange wirst du in England bleiben?«
»Es kommt darauf an, was die Ermittlungen ergeben. Vielleicht drei Wochen, vielleicht drei Monate.«
Mélanie nickte. »Dann wünsche ich dir eine gute Reise. Und komm gesund zurück!« Sie küßte ihn rechts und links auf die Wangen.
»Bitte richte deinem Mann zu seinem Geburtstag die allerbesten Wünsche von mir aus. Er wirkt müde in letzter Zeit – ich hoffe, es geht ihm nicht schlecht?«
»Aber nein. Der ganze Trubel ist manchmal ein bißchen zuviel für ihn, aber sonst ist alles in Ordnung.«
Sébastien nickte. Er selbst hatte das Gefühl, daß Samuel in den letzten Wochen abgebaut hatte. Er war stiller, in sich gekehrter, wirkte ein wenig eingefallen, doch Mélanie mußte es schließlich wissen.
»Also dann – mach es gut!« Er küßte ihre Hand, sah ihr in die Augen, dann ging er zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel und ritt im leichten Trab über den Hof davon.
Es wurde ein rauschendes Fest. Die Gäste hatten sich im großen Salon des ersten Stockes versammelt, der prächtig geschmückt war. Mélanie hatte Samuels Marmorbüste mit einem goldenen Lorbeerkranz verziert und zusätzlich zur Gasbeleuchtung überall Kerzen aufstellen lassen. Vor den Fenstern saß ein kleines Orchester und spielte zur
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