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Hahnemanns Frau

Titel: Hahnemanns Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauer Angeline
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Höflichkeit erforderte – so üble Nachrede verdiente sie nicht!
    Jahr griff entschlossen in die Schublade seines Schreibsekretärs, zog eine Mappe mit Briefpapier heraus, tunkte die Feder ins Tintenfaß und fing an zu schreiben:
    Paris, den 7. August 1843
    Sehr geehrter Herr Kollege!
    Ihren Brief habe ich mit großer Bestürzung gelesen, ich kann Ihnen versichern, daß nichts von all den Gerüchten wahr ist, die Ihnen da zu Ohren gekommen sind. Man hat Tatsachen verdreht und in einer Weise ausgeschmückt, durch die sie eine völlig unzutreffende Bedeutung bekamen.
    Ich schreibe Ihnen als Mann, dem Sie immer Ihr Vertrauen schenken konnten und der die Vorkommnisse selbst miterlebte und nicht nur aus zweiter Hand kennt. Sie erhofften sich einen detaillierten Bericht, und ich werde mir in Erinnerung an unseren guten Freund die Zeit nehmen, Ihnen die Ereignisse rund um seinen Tod in allen Einzelheiten zu schildern.
    Am frühen Morgen des 2. Juli schlief Dr. Hahnemann nach zehnwöchiger Krankheit in den Armen seiner Frau friedlich ein. Er starb an einer Lungenlähmung, und erst gegen Ende zu, als ihm die Brust immer enger wurde, hat er wohl etwas gelitten.
    Zu Anfang seiner Krankheit hatte er sich selbst behandelt, doch dann konnte ihn seine Frau überreden, einen gewissen Dr. Chatron hinzuzuziehen – einen homöopathischen Arzt, der oft an Hahnemanns Diskussionsabenden teilgenommen hatte und dem er vertraute. Ich selbst war leider nicht zu erreichen, da ich mich noch in Brüssel befand. Als ich jedoch erfuhr, wie schlimm es um unseren Freund stand, machte ich mich sofort auf den Weg nach Paris. Doch zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, daß er höchstens noch ein paar Tage zu leben hatte.
    Nachdem er dann seinen letzten Atemzug getan hatte, schloß sich Madame Hahnemann mit ihm in ihrem Schlafzimmer ein. Man hörte sie fortwährend weinen, wie mir Rose, ihre Haushälterin, später erzählte. Es vergingen einige Stunden, bis sie wieder aufschloß, um mich rufen zu lassen. Ich fuhr auch sofort hin und fand sie in Tränen aufgelöst neben ihrem toten Gemahl auf dem Bett liegend. Dr. Hahnemann war bereits kalt und starr, und ein Blick auf die Uhren, die Madame Hahnemann angehalten hatte, sagte mir, daß er bereits vor fünf Stunden gestorben war.
    Ich war zutiefst betroffen. Nicht so sehr wegen Dr. Hahnemanns Tod. Daß es so weit kommen würde, wußte ich ja, und ich konnte mich darauf einstellen. Sein Verlust schmerzte mich natürlich so sehr wie alle seine Anhänger und Schüler, aber es tröstete mich auch zu wissen, daß ihn dort drüben, in dieser anderen Welt, in der es keinen Schmerz, keine Krankheit, keinen Streit und auch keinen Tod mehr gibt, nun nichts mehr quälen konnte. Doch zu sehen, wie sehr diese Frau litt, die ihn mehr geliebt hatte als ihr Leben, erschütterte mich zutiefst. Ich wußte nicht, wie ich sie trösten konnte, und ich ahnte auch nicht, daß das, was ich an diesem Morgen erlebte, noch lange nicht die Spitze des Eisberges sein würde.
    Denn stellen Sie sich nur vor: Der Tod ihres geliebten Gatten hatte diese ansonsten so starke, intelligente und eigenständige Frau in so tiefe Verzweiflung gestürzt, daß sie es einfach nicht fertigbrachte, sich von seinem Leichnam zu trennen! Sie beantragte bei der Polizei eine Sondergenehmigung, um seine Überreste bis zu vierzehn Tage nach seinem Tod zu Hause behalten zu dürfen. Dann bestellte sie Monsieur Gannal , einen in Frankreich berühmten Balsamierer, und ließ unseren lieben Freund einbalsamieren. So verschanzte sie sich mit ihrem toten Gemahl bis zum Morgen des 11. Juli alleine im Haus.
    An den Gerüchten ist richtig, daß sie keine öffentliche Mitteilung von seinem Tod machte, auch keine Einladungen zu einer Trauerfeier verschickte und keinen Beisetzungstermin bekanntgab. Aber nicht, wie Ihnen zugetragen wurde, weil der Tote ihr offensichtlich gleichgültig war oder sie gar Kosten und Mühen scheute und ihn möglichst ohne großen Aufwand loswerden wollte! Nein, ganz im Gegenteil: weil sie unfähig war, ihren Kummer zu teilen, eine pompöse Feierlichkeit durchzustehen und die Beileidsbezeugungen in aller Öffentlichkeit zu ertragen. Schon die Unzahl von Blumen und Kränzen, die man ihr ins Haus geschickt hatte und die ganze Zimmer füllten, müssen für sie ein wahres Martyrium gewesen sein!
    Sie haben Madame Hahnemann nur ein- oder zweimal gesehen. Ich kenne sie aber sehr gut, denn ich ging in ihrem Hause ein und aus. Wir haben oft

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