Hahnemanns Frau
miteinander gearbeitet, diskutiert und manchmal auch gelacht. Ihr Stolz, ihre Schönheit, ihre Klugheit haben mich immer wieder beeindruckt. Aber heute, lieber Freiherr von Bönninghausen, ist sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. E s ist, als ob ihre Seele mit der Hahnemanns in diese andere Welt hinüber geglitten wäre, und ich habe so manches Mal Angst, auch ihr Körper könnte noch an ihrem Kummer vergehen.
Wenn es böse Zungen gibt, die behaupten, Madame Hahnemann hätte ihren Mann lieblos verscharrt, dann zeugt das, mit Verlaub, von der Dummheit und Gemeinheit der Leute.
Natürlich gebe ich zu, daß nicht alles so war, wie es hätte sein sollen. Mancher hatte sich wohl einen Leichenzug gewünscht mit Fahnen und Trompeten, ein Dutzend Grabredner und eine Gruft, die in einem Blumenmeer versinkt. Aber seien Sie ehrlich – hätte das zu Hahnemann gepaßt, dem schon das heilige Geschwafel an fremden Gräbern lästig gewesen war? Und hätte man seiner Witwe das wirklich antun mögen?
Nun gut, kommen wir zum Schluß – in den frühen Morgenstunden des 11. Juli, etwa gegen fünf Uhr, fuhr dann bei strömendem Regen endlich der Leichenwagen vor, um Hahnemann abzuholen und zum Friedhof von Montmartre zu bringen. Außer mir, einem gewissen Dr. Gustav Puhlmann und Monsieur Colbert – das ist ein Freund der Hahnemanns, der sich zum Zeitpunkt des Todes in England aufgehalten hatte und überstürzt angereist war – hatte niemand davon gewußt. Vor dem Haus waren alle Bediensteten angetreten, um Spalier zu stehen. Vorneweg die gute Rose, die seit vielen Jahren Madames Haushälterin ist und manchmal eine Art Freundin oder liebe Mutter. Dem Toten folgten Madame Hahnemann am Arm ihres Ziehsohnes Dr. Lethière, dann Frau Dr. Amalie Süß-Hahnemann und deren Sohn Leopold und schließlich, in einigem Abstand, die Bediensteten. Sie alle gingen trotz des Regens zu Fuß, auch Madame, die sich kaum aufrecht halten konnte.
Ich selbst, Dr. Puhlmann und Monsieur Colbert akzeptierten den Wunsch der Witwe, in ihrem Kummer allein zu bleiben, deshalb hielten wir uns im Hintergrund. Auch auf dem Friedhof blieben wir in einiger Entfernung stehen, und vermutlich hat uns Madame Hahnemann nicht einmal gesehen.
Die Witwe bestattete den Leichnam Hahnemanns in ihrer Familiengruft, wo sie Jahre zuvor auch schon ihren Ziehvater Lethière und einen sehr guten Freund bestattet hatte. Diese beiden Männer waren für sie wie Mitglieder der Familie. Der eine wie ein Vater, der andere wie ein Onkel oder Pate. Wenn man Ihnen, verehrter Freund, nun einzureden versucht, Madame Hahnemann hätte ihren Gatten mit irgendwelchen ehemaligen Liebhabern in eine Gruft gesperrt, tut man ihr schreckliches Unrecht! Es erschüttert mich sehr, auch nur darüber nachzudenken, daß solche Gerüchte in Umlauf sind!
Freilich hätte man sich vorstellen können, daß jemand wie Dr. Hahnemann, der sich an der Menschheit so verdient gemacht hat, in einer Gruft alleine ruht, vielleicht mit seiner Büste davor und großen Worten als Inschrift, die aller Welt verkünden, was er geleistet hat. Aber das hätte einer gewissen Vorbereitung bedurft. Madame hätte planen müssen. Sie hätte dem Tod ins Gesicht sehen müssen, doch das hatte sie nicht zustande gebracht. Bis zum allerletzten Moment hatte sie noch gehofft, ihn bei sich behalten zu können – sogar über den Tod hinaus!
Den unermeßlichen Schmerz dieser Frau können wir alle nur erahnen! Und sie zu verurteilen, dazu haben wir kein Recht.
Noch etwas möchte ich Ihnen sagen. Es sind gerade mal fünf Wochen seit Hahnemanns Tod vergangen, und schon hat sich Madame mit Erbschaftsstreitereien auseinanderzusetzen. Und das, obwohl doch alles per Testament geregelt war. Offensichtlich glaubt man im Kreise der Familie, hier seien märchenhafte Reichtümer angehäuft worden. Doch das ist ein Irrtum! Wenn die Hahnemanns auch von manchen Patienten gutes Geld verlangt haben – viele andere wurden umsonst behandelt! Und man darf nicht vergessen, daß ihr Leben kostspielig war. Wer in Paris zur oberen Gesellschaft gehört, hat Verpflichtungen. Man muß große Bankette geben, die Oper und Abendgesellschaften besuchen, ein großes Haus unterhalten, Dienstboten bezahlen. Doch auch das kann sich Madame Hahnemann nun nicht mehr leisten. Sie hat bereits beschlossen, in ein kleineres Haus umzuziehen, weil sie ohne die Verdienste aus der Praxis die Kosten für das große Haus und die dazugehörigen Dienstboten nicht erwirtschaften
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