Hahnemanns Frau
finden …«
Mélanie legte sich zu ihm aufs Bett, nahm seine Hand und hielt sie fest an ihre Brust gedrückt. So schliefen sie beide ein.
Nach einer Weile klopfte es. Mélanie schrak aus unruhigen Träumen hoch, kroch aus dem Bett und richtete sich das Haar. »Es werden Amalie und Leopold sein – denk dir nur, Liebster, sie sind aus Deutschland angereist, wollten dich unbedingt sehen!« Sie versuchte ihrer Stimme einen möglichst unbefangenen Beiklang zu geben. »Ja, bitte!«
Rose trat ein. »Frau Dr. Süß-Hahnemann und ihr Sohn aus Deutschland sind nun da, Madame.«
»Danke, Rose.«
Amalie und Leopold erschienen in der Tür. Die Mutter hatte sich in Schwarz gekleidet, dafür hätte Mélanie sie erwürgen können. Der Junge war blaß und schweigsam wie immer. Schüchtern sah er von ihr zu seinem Großvater, schlug dann die Augen nieder und trat hinter Amalie ans Krankenbett.
»Na, das ist mir aber eine Überraschung.« Samuel lächelte, hob seiner Tochter die Hand entgegen. Amalie ergriff sie und preßte sie an sich.
»Wir sind schon einige Tage in Paris, aber deine …« Sie stockte, suchte nach einer Bezeichnung für Mélanie. »Aber Madame meinte, es ginge dir nicht gut genug, uns zu sehen.«
»Meine Frau hatte recht. Ich war nicht in der Verfassung, Besuch zu empfangen.« Samuel drückte Amalies Hand. »Ich bin es auch jetzt noch nicht, aber es wird wohl zu Ende gehen mit mir, und wir können keine bessere Verfassung mehr abwarten.«
»Vater, so dürfen Sie nicht reden.«
»Es ist, wie es ist.« Samuel winkte Leopold zu sich. »Na, mein Junge – du mußt Leopold sein!«
»Ja, Großvater.«
»Als ich dich das letzte Mal sah, warst du sieben, und du hattest dir gerade einen rostigen Nagel in den Fuß getreten.«
»Das ist inzwischen verheilt, Großvater.«
Samuel lächelte. »Na, das will ich doch hoffen. Und was hast du vor mit deinem Leben?«
»Ich gehe auf die Lateinschule, und dann werde ich Homöopath wie Sie.«
Samuel nickte. »Das ist gut, aber dann mußt du mir auch versprechen, nichts zu vermischen und ganz im Sinne deines Großvaters zu behandeln.«
»Ich verspreche es, bei meiner Ehre.«
»Und wenn du Hilfe brauchst, wende dich getrost an meine liebe Frau. Sie ist der beste Homöopath, den ich kenne!«
Amalie sah Mélanie kühl an, und es war klar, daß eher der Arc de Triomphe auf den Kopf gestellt werden würde, bevor das passierte.
Mélanie brachte zwei Stühle und stellte sie an Samuels Bett. Dann verließ sie das Zimmer und ließ Rose Tee und Kekse servieren. Sie selbst ging in ihren Salon, setzte sich an den Schreibtisch und starrte blicklos vor sich hin. Sie fühlte sich so leer, so ausgelaugt und verloren.
Wie mechanisch griff sie nach der Mappe, die auf dem Tisch lag. Ihre Hand fuhr zärtlich über das dunkelgrüne Leder, auf das in goldenen Lettern ihr Monogramm geprägt war. Samuel hatte sie ihr zu ihrem vierzigsten Geburtstag geschenkt, und sie bewahrte noch unbeantwortete Briefe darin auf.
Sie zog die Mappe zu sich und öffnete sie. In einem Seitenfach befand sich ein Billet, es war der letzte Neujahrsgruß von Samuel. Sie nahm es heraus, faltete es auf und las es.
Meine liebste Mélanie!
Ich kann nur immer wieder sagen, daß ich Dich von Herzen liebe, so sehr, wie ich in meinem ganzen heben noch nie jemanden geliebt habe. Als Frau und als Mensch übertriffst Du alles, was ich mir je für mich erhofft und vorgestellt habe, und Du bist so sehr meine Liebe, daß es mich manchmal schmerzt. Dein ganzes Wesen entspricht so genau dem, was ich in mir selbst spüre, daß wir eins geworden sind, und darum kann uns nichts und niemand je trennen. Selbst über den Tod hinaus werden wir verbunden bleiben, jetzt und immer, bis in alle Ewigkeit –
Du, mein Herz, mein Leben, meine Liebste.
Mit zitternder Hand ließ Mélanie das Blatt auf ihren Schoß sinken. Plötzlich nahm dieser Neujahrsgruß eine ganz andere Bedeutung an. Sie hatte ihn als Beteuerung seiner Liebe gesehen, aber nun wußte sie, es war bereits ein erster Abschied gewesen. Eine Ahnung war zwischen den Zeilen zu lesen, als wollte Samuel ihr Mut machen und Trost schenken für die schwere Zeit, die ihr bevorstand.
Ein Schluchzen zerriß die Stille. Mélanies Tränen fielen auf den Brief und verwischten die Tinte. Sie legte ihn auf den Tisch und schlug beide Hände vors Gesicht.
Als sie in Samuels Zimmer zurückkehrte, war mehr als eine Stunde verstrichen. Samuel war erschöpft eingeschlafen, Amalie und
Weitere Kostenlose Bücher