Halb verliebt ist voll daneben - Roman
oder dass sie ein Kind davor rettete, überfahren zu werden. Doch während ich vorsichtig den Umschlag öffnete, der mir zugeschickt worden war, überlegte ich mir, dass eine Szene mit ihrem behinderten Bruder, für dessen Arztrechnungen sie im Nachtklub arbeitete, noch besser wäre. Das würde bei der Academy bestimmt gut ankommen.
»Ich möchte der Academy danken …«, sagte ich laut. Ich zog den Text aus dem Umschlag. Es war nur eine einzige Seite, ein kleiner Passus war hervorgehoben.
LUCKY BAR – INNENRAUM – NACHT
SCHÄBIGE STRIP-BAR IN LOS ANGELES
TAYLOR (ENDE 20, HARTGESOTTEN UND DES LEBENS ÜBERDRÜSSIG, ABER MIT HERZ) STRIPPT VOR EIN PAAR UNKONVENTIONELL AUSSEHENDEN MÄNNERN. MAN HÖRT LAUT DIE MELODIE VON SHE’S A MANIAC AUS FLASH-DANCE. DIE MÄNNER RUFEN IHR ZU UND GRINSEN LÜS-TERN. ALS IHR PROGRAMM BEENDET IST, GEHT SIE MIT
EINEM BIERGLAS DURCH DIE MENGE, UM DAS TRINKGELD EINZUSAMMELN.
NAHAUFNAHME VON VINCE, DER TAYLOR ANSTARRT.
Ich griff zum Telefon.
»EAMONN!!!«
»Sarah! Wie geht’s meiner Lieblingsschauspielerin?«
»Willst du mich verarschen, Eamonn?«
»Wieso denn?«
»Dieser Quatsch mit der zusätzlichen Szene.«
»Nein, nein, nein. Das wird ganz diskret ablaufen.«
»Eamonn.« Ich lachte. »Hör bloß auf. So leicht zu täuschen bin ich nun auch wieder nicht.«
»Dadurch bekommt deine Rolle mehr Biss. Ich denke, wir sollten das machen.«
»Eamonn!«
»Also, Rachel hat für dich ein paar Einzelstunden bei einer ehemaligen Stripperin festgemacht.«
»Hör auf damit, Eamonn. Das soll wohl ein Witz sein.«
Ich warf einen Blick auf meine Eingangstür, weil ich mit dem Auftauchen eines Fernsehmoderators mit einem Mikrofon rechnete, der sagte: Jetzt haben wir Sie aber drangekriegt.
»Also gut, wegen der Terminplanung hast du deine erste Stunde am Tag deiner Rückkehr und dann täglich eine Woche lang. Ich hielt das für ein bisschen viel, aber Rachel meinte, sie habe dich tanzen sehen, und es sei nötig.«
Eamonn lachte schallend los. Da dämmerte mir, dass ich vergeblich auf jemanden vom Verstehen-Sie-Spaß? -Team wartete.
»Ist das dein Ernst?«
»Um Himmels willen, ja, Sarah. Der Autor, Joel, war wirklich sehr angetan von dir. Er wollte deinen Charakter abrunden.«
»Also, rund ist er schon! Eamonn«, zischte ich, »mir ist danach, dir meinen Hintern zu zeigen, damit du weißt, was für einen schrecklichen Fehler du machst.«
»Du bist eine richtige Frau, Schätzchen. Du wirst ganz wunderbar sein.«
Seine Worte vermochten mich nicht zu trösten. Jede Frau weiß, dass die Sätze »Du siehst gut aus« und »Und du bist eine richtige Frau« nichts anderes bedeuten als: Du solltest mal über Weight Watchers nachdenken.
»Eamonn«, keuchte ich. »Du willst aber keine Nippel sehen, oder? Ich kann meine Nippel nicht zeigen! Mein Dad wird sich den Film anschauen!«
»Nein, Schätzchen«, lachte er, »keine Nippel.«
»Aber Eam…«
»Oh, tut mir leid, Sarah, ich muss auflegen. Da kommt ein anderes Gespräch rein.«
Er legte auf.
Wenn ich, ohne zu zögern, zwei Dinge benennen sollte, in denen ich fürchterlich war, dann wären das nackt gut aussehen und tanzen.
Ich ging in mein Schlafzimmer und zog mich bis auf meine Unterhose aus. Dann schaltete ich das Radio an und begann, mich zur Musik zu bewegen. Nach etwa zwanzig Sekunden hörte ich auf. Ich sah aus wie ein vom Erdbeben erschüttertes Soufflé.
Und das konnte man nur noch als Krise einstufen.
45
Ich freute mich nicht auf den Flug. Ständig musste ich an die Tauben denken und an Simon und die Tatsache, dass ich, sobald ich in L. A. eintraf, zu einer Strip-Nachhilfestunde flitzen musste. Außerdem vermisste ich Erin. Es ist nämlich sehr tröstlich, jemanden neben sich sitzen zu haben, der noch mehr Angst hat als man selbst. Die Frau, die diesmal neben mir saß, war alles andere als ängstlich. Sie war kühl wie ein Eisshake. Bis auf einen Lippenstift in Hurenrot war sie von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet. Und sie trug eine Sonnenbrille – auf einem Nachtflug kann man ja auch schon mal sehr geblendet werden. Sie sah aus, als wäre sie gerade aus einem Robert-Palmer-Video geflüchtet. Vor sich hatte sie einen Stapel Zeitschriften, und ich hätte mir wirklich gern eine ausgeliehen.
»Äh, entschuldigen Sie«, fragte ich und beugte mich über sie.
Sie fuhr zusammen. Sie trug ja eine Sonnenbrille – woher sollte ich wissen, dass sie schlief? Wir waren gerade erst an Bord gegangen.
»Verzeihung, ich
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