Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
geblieben bist. Weil ich dich kenne, weiß ich von deiner Schlosserlehre. Es ist leicht, normale Wohnungstüren zu öffnen, nicht wahr? Dann hab ich an die Turnschuhe gedacht. Du weißt schon, der Abdruck von diesem New-Balance-Schuh in Fritz Krumms Wohnung. Du hattest doch auch mal welche, oder?“
„ Natürlich“, nickte Sven. „Bis vor zehn Tagen. Dann dachte ich, ich werde langsam zu alt für Turnschuhe. Außerdem tragen inzwischen Neonazis diese Marke, wegen dem N-Symbol, das steht für Nationalismus. Hab mir ein paar hübsche Halbschuhe geholt.“
„ Sicher nicht von Deichmann oder anderen bösen Firmen, die Kinder für sich arbeiten lassen, nicht wahr? Und deshalb hattest du auch Turnschuhe der oben genannten Marke, weil die nur in den USA produzieren, frei von Kinderarbeit und übermäßiger Ausbeutung.“
Sven grinste. „Klar, sind zwar Amerikaner, aber auch die haben ein Recht zu leben.“
„ Wie großzügig von dir. Und weißt du, das war’s dann auch, was mich auf die Idee gebracht hat. Diese Fürsorge, die du jedem Menschen angedeihen lässt. Du würdest es nie zulassen, dass jemand anders für deine Taten angeklagt wird, nicht wahr?“
Sven reagierte nicht auf die Frage. Ihm dämmerte schon etwas.
„ Und bevor du Fritz Krumm getötet hast“, fuhr Lisa fort, „wolltest du sichergehen, dass die möglichen Hauptverdächtigen, die Nielsens, auf jeden Fall ein Alibi haben.“
„ Sie waren zu Hause und schauten bei einer Feuerwehrübung zu.“
„ Die du arrangiert hast. Die Feuerwehr zeichnet alle Anrufe auf, und dein blinder Alarm existiert immer noch auf Tonband. Das ist nämlich ein Verbrechen, weißt du?“
„ Schockschwerenot“, tönte Sven, „wenn ich das geahnt hätte.“
„ Du hast deine Stimme etwas verstellt, aber sie ist klar zu erkennen. Außerdem haben wir einen hübschen Computer im Haus, der Stimmen entzerren kann. Schachmatt.“
Sven zuckte nur mit den Schultern und trank einen Schluck Kaffee.
„ Was soll’s, ewig hätte ich sowieso nicht weiter machen können. Und es freut mich, dass du wenigstens profitierst, indem du den bösen, bösen Meuchelmörder zur Strecke gebracht hast. Bringt dir sicher viele Pluspunkte.“
„ Vielleicht auch nicht. Vermutlich war das sogar ein netter Nervenkitzel für dich, deine Opferauswahl nach der Kommissarin auszurichten, die den Fall untersucht.“
„ Sei mir nicht böse. Hab ich nicht gemacht, um dich zu blamieren. Womöglich wollte ich sogar irgendwie, dass du mir drauf kommst. Heute Abend hätte ich es dir beinahe schon gesagt, aber dann hast du mir erzählt, was passiert ist, und dann musste ich halt noch eine Nachtschicht einlegen.“
Sie schwiegen beide. Wie hungrige Löwen waren sie die ganze Zeit um die tote Hyäne herumgekreist. Niemand wollte den ersten Schritt machen. Lisa war zum Heulen zumute, aber sie war sich darüber im Klaren, wie lächerlich das gewesen wäre. Skimaske war ihr gleichgültig. Ja, sie war froh, dass er tot war. Er war eine sinnlose Existenz, voller Negativität, nur dazu da, anderen Menschen Böses anzutun. Sie hätte ihn gerne selbst getötet, aber Sven hatte Recht, dazu fehlte ihr der Mut. Freilich fehlte ihr auch die psychische Krankheit, die Sven als „Stärke“ ansah.
Was ihr ebenfalls fehlte, war die Selbstverleugnung, Sven von seinem letzten Mord abzuhalten. Sie hatte es ursprünglich vorgehabt, redete sie sich ein, aber es dann nicht gekonnt. So sah sie es.
„ Mach dir keine Vorwürfe“, sagte Sven unvermittelt und sah ihr tief in die Augen. „Ich hab doch gewusst, dass du mir eine Falle stellst. Denkst du, ich bin blöd? Da legst du mir das Vernehmungsprotokoll von dem Mann unter die Nase, in dem auch Name und Adresse stehen. Als ich vor dem Haus angekommen war, hab ich dich gesehen, in deinem Wagen. Als ich die Tür aufgekriegt habe, hab ich kurz gewartet, ob du jetzt kommst, aber dann hab ich gehört, wie du den Motor angelassen hast. Da wusste ich, du wirst mich nicht aufhalten. Du hast in diesem Moment das gleiche gefühlt wie ich.“
Etwas Schlimmeres hätte er nicht sagen können, obwohl er es wohl für einfühlsam hielt. Lisa wurde klar, dass Sven überhaupt nicht der Mann war, für den ihn alle hielten. Er war geisteskrank, so viel war klar. Aber er war auch ein Mistkerl. Er war nicht der nette, rücksichtsvolle Linksalternative, der Mann mit den Idealen und der Prinzipientreue. Er war ein Egomane. Er suchte Bestätigung, wollte immer, dass ihm alle Recht gaben. So
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