Halbe Leichen (Ein Lisa Becker Krimi) (German Edition)
wenn der Ambulanzwagen kommen musste, um die Leichenteile abzutransportieren. Lisa war das indes egal, sie würde dann sowieso wieder weg sein. Sie stellte ihren Polo direkt vor einer Garage ein, hinter der sich ein paar Künstler atelierisch niedergelassen hatten.
„ Ich darf doch mal, ja?“ Lisa wühlte sich durch das Gedränge. „Verzeihung, ich müsste mal hier durch.“ Die Leute reagierten eher unwillig. Ein alter Fettsack mit Unterhemd und Hosenträgern versuchte sogar, sie festzuhalten.
„ Die Polizei lässt keinen durch, Mädchen. Du störst da bloß.“
Lisa hatte für so was keine Zeit. Irgendwie hatte sie immer noch nicht gelernt, sich richtig als Polizeibeamtin erkennen zu geben. Und sogar, wenn sie ihren Ausweis zückte, glaubten ihr viele immer noch nicht. So sah doch keine Kommissarin aus. Die Leute hatten sich mit Müh, Not und Hilfe diverser Krimiserien daran gewöhnt, dass es auch weibliche Exemplare gab, aber die waren dann ja wohl entweder dünn oder wenigstens Ende 40. Lisa hatte seinerzeit die sportlichen Leistungstests mit Ach und Krach absolviert, was sie sich im Nachhinein gar nicht mehr erklären konnte. Aber sie konnte sich ja auch nicht erklären, wie sie ihre Brüste mal in B-Körbchen reingekriegt hatte.
Lisa hatte sich zum Eingang des Hauses vorgekämpft. Wenigstens kannte einer der beiden Schupos, die dort die Zinnsoldaten gaben, die junge Kommissarin.
„ Morgen Frau Becker“, grüßte der graue Schnauzbart. Lisa schämte sich, weil sie seinen Namen nicht wusste. Es war schon so, eine gewisse Hackordnung – manchmal konnte man direkt von Apartheid sprechen – gab es nun mal, und die Zivilbeamten fühlten sich den Uniformierten immer ein wenig überlegen. Früher war das auch klar, da hatte man sich als Schupo erst mal hochzuarbeiten. Lisa jedoch hatte nie eine Uniform getragen, sondern war direkt auf die Fachhochschule gegangen. Sie hatte also keine Entschuldigung.
„ Guten Morgen“, grüßte sie eine Spur zu heiter zurück. Peinlich - immerhin betrat sie den Schauplatz eines Gewaltverbrechens, und sie machte hier auf Johannes B. Kerner .
Die Wohnung von Fritz Krumm im ersten Stock war ein Schweinestall, und das war sie vermutlich nicht erst seit heute morgen. Die Gerätschaften der Polizei waren nur noch ein originelles Accessoire zu den leeren Bierflaschen, den zerfledderten Zeitschriften (viele von der jugend-unfreien Sorte), den Wäschestücken und diversen Essensresten wie Bananenschalen, Keksen und einem undefinierbaren Etwas, das sich bei näherer Betrachtung als abgenagter Kotelettknochen im späten Stadium der Verwesung herausstellte. Einem Stadium, das dem Mieter der Wohnung noch bevorstand.
„ Morgen Frau Becker!“
„ Morgen!“
„ Machen sie sich auf was gefasst. Ich hab beinah gekotzt.“
Der Beamte von der Kriminaltechnik und seine Kollegen waren bereits fleißig bei der Sache. Die übliche Truppe aus vier bis fünf Leuten wuselte herum und versuchte, an den üblichen Stellen Fingerabdrücke zu sichern. Lisa schritt vorsichtig durch die Müllgrotte, die früher mal eine Diele war, in Richtung Schlafzimmer. Die Tür war offen und sie erkannte Fabian Zonk, der sich gerade mit einem ihr unbekannten Mann unterhielt, der vermutlich ein Nachbar oder so was war.
„ Hi Fabian!“
„ Hey Liz!“
Fabian grinste ihr sein umwerfendes Lächeln entgegen, und schon wieder musste Lisa sich zusammenreißen, um sich auf ihren Job zu konzentrieren. Sie betrat das Schlafzimmer, dessen Hygienegrat tatsächlich noch einen Tick krasser war als der in der Diele. Dieser Tick entstand im wesentlichen aus der Blutlache, die große Teile des billigen grauen Teppichbodens verfärbt hatte. Oh ja, und natürlich durch die Leiche im Bett, die bereits ihr berühmtes Odeur d’Eath angenommen hatte.
„ Sei vorsichtig!“
Und nicht zu vergessen den Kopf der Leiche, über den sie beinahe gestolpert war, nachdem sie einem Kotzflecken ausgewichen war. Fabian hatte sie gerade noch rechtzeitig gewarnt. Lisa setzte vorsichtig ihren Fuß über den Schädel und bemühte sich dabei, nicht zu genau hinzusehen.
„ Meine Güte, wo hast du nur deinen Kopf“, grinste Fabian fröhlich, als er ihr die Hand reichte. Sie wollte aber seine Hilfe nicht und balancierte sich auf eine blutfreie Stelle.
„ Seit wann bist du hier?“
„ Eine halbe Stunde“, antwortete Hauptkommissar Zonk. „Gefunden wurde er vor genau einer Stunde. Von eine Nachbarin, der Mutter von Herrn Schultz.“
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