HalbEngel
hast! Du hast nicht mehr viel mitbekommen im letzten Jahr, oder? Ich habe versucht, dir zu schreiben, dass ich schwanger bin, aber das blöde Management kannte deine augenblickliche Adresse nicht. Niemand kam mehr an dich ran. Also, wo hast du gesteckt die ganzen Monate?«
Karen seufzte und warf sich auf ein nach gefüllten Windeln riechendes Sofa. »Überall. Wir waren überall. Haben mehrere Staaten durchgetourt, bis da kein Stein mehr auf dem andern lag. Wir haben geheiratet.«
»Waaaaaas?« Laurie legte das Baby zärtlich in eine mit Knuddelgegenständen fast verhüllte kleine Krippe und tupfte dem glucksenden Kerlchen mit einem Tuch das Kinn ab. »Du hast ihn geheiratet? Das gibt’s doch gar nicht. Davon hätte ich doch gehört! Du flunkerst doch.«
»Na, sooo berühmt sind MBMI ja nun auch noch nicht, dass man alles über sie im Fernsehen sieht.«
»Im Fernsehen vielleicht nicht, aber im Radio und in den Zines – hast du ’ne Ahnung! Hast du ’ne Ahnung, wie Floyd hier gefeiert wird. Der Junge aus unserer Stadt, der es bis in die Top Twenty geschafft hat. Wo bisher alles, was man über uns in der weiten Welt gehört hat, nicht gerade positiv zu nennen war. Floyd ist jetzt so ’ne Art Nationalheld hier, obwohl einige Bigheads natürlich schmollig sind darüber, dass er jetzt schon seit ’ner Ewigkeit nicht mehr hier gespielt hat. Aber er ist ja auch wirklich soooooo süß. Ich hab sogar ein Poster von ihm überm Bett.«
»Tja. Und ich hatte ’ne Zeitlang ihn ihm Bett.«
Laurie riss sich jetzt endlich mal vom Baby los und schaute ihre jüngere Schwester zweifelnd an. »Du hast ihn nicht wirklich geheiratet.«
»Doch.«
»Isnichwahrisnichwahrisnichwahr.«
»Doch, doch, doch.«
»Wirklichwirklichwirklich?«
»Wirklichwirklichwirklich. Am 4. Juli, wie sich’s gehört, und das ganze verdammte Land hat dazu Feuerwerk gemacht. Und am 28. November haben wir uns wieder getrennt.«
Laurie, die gerade beide Arme hatte heben wollen, um zu jubeln und etwas wie »Juuuuhuuuu, ich freu mich ja so für dich!« zu schreien und ihre Schwester dann zu umarmen und hochleben zu lassen und vielleicht noch mehr, das ihr dann eingefallen wäre, tat plötzlich nichts von alledem. »Waaaaas?«, meinte sie nur. Dann noch mal: »Waaaaaas? Du bist mit Floyd durchgebrannt, in die Versenkung abgetaucht, hast ihn geheiratet und dich wieder von ihm getrennt innerhalb von einem Jahr?«
»Na, hör mal: Du hast dich doch auch mit Sam gefetzt, dass alle dachten, jetzt kannst du nur noch lesbisch werden, und kein Jahr später säugst du plötzlich Sam junior groß und bist auch noch glücklich dabei. Die Schnelligkeit der Umstände ist keine Erfindung des Rock’n’Roll, das gibt es schon seit Adam und Eva.«
»Bist du denn auch ... schwanger?«
»Nö. Nur so ’ne Redewendung.« Karen lachte auf. »Mach dir keine Sorgen, Schwesterchen: Karen wird kein dreiköpfiges Crackbaby zur Welt bringen. Karen passt wenigstens in der Hinsicht immer gut auf sich auf.«
Lauries immer noch skeptischer Blick irrte zwischen Karen und ihrem Koffer her. Sie setzte sich jetzt neben der Krippe in einen sackförmigen Sessel und forderte: »Erzähl. Erzähl mir alles, dann weiß ich wenigstens, ob ich heulen oder lachen oder schreien soll.«
»Viel gibt’s da nicht zu erzählen. Du warst dabei, als ich ihn kennengelernt habe. Wir haben eine ziemlich gute Zeit gehabt, solange es dauerte. Weißt du, ich glaube, alles, was man jemals über Sex mit Rockmusikern gehört hat, ist so ziemlich nicht gelogen. Es ist wirklich ziemlich umwerfend.«
»Aa-ha.«
»Ja. Und ich dachte wirklich ... das ist es, verstehst du? Ich meine, wir zogen rum, hingen ab, wir hatten guten Stoff, und jeden Abend waren wir in einer anderen Stadt, von der ich früher nicht einmal im Traum gedacht hätte, dass es sie überhaupt gibt. Jeden Abend setzten die MBMI kleine lokalpatriotische Bühnen in Brand, und dann machten wir uns wieder aus dem Staub, bevor man uns lynchen konnte. Du hast es ja selbst gerade gesagt: Man kann sich gar nicht vorstellen, wie sensationell gut entwickelt das Netzwerk von unabhängigen Radiostationen da draußen ist. Jedes Kuhkaff hat seine zwei miteinander konkurrierenden Sender. Das führte dazu, dass wir in jeder Stadt schon wie Helden empfangen wurden, bevor die Band auch nur einen einzigen Ton gespielt hatte.«
»Kaum zu glauben. Hier in Floyds Heimatstadt kann ich das ja voll verstehen. Aber draußen im Land? Im Zeitalter von MTV und so und
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