HalbEngel
leuchtende HalbEngel-Foto von Bosco vor sich liegen – auf dem Tisch, auf dem Fußboden oder auf den Knien –, und genau so ließ er ›Legless Bird‹ dann auch klingen. Floyd schwebte in einer um die Längsachse rotierenden Eisernen Jungfrau durchs hallende All, während die randomisierten Gitarrenläufe zu Wind wurden und zu Laub darin, porös und fragil. Der feuchte Flugangst-Traum eines Schmerzfetischisten. ›Grey‹ dagegen wurde verdunkelt, abgelangsamt, trieb jetzt in einem geschwollenen Wabern richtungs- und schlagwerklos umher. Eine Wall of Sound wurde da in den Hintergrund gedrängt, um derentwegen andere Producer Morde begangen hätten.
Die übrigen Songs blieben mehr oder weniger, wie sie aufgenommen worden waren, bis auf ›Market‹, das jetzt mit einem Geräusch begann, wie sie eine über eine Vinylplatte schrammende Abtastnadel verursacht, die dann zweimal hochhüpft und von der vierten Minute an das Lied okay wiedergibt. Der Abtastnadel-Gag war uralt und auf Dutzenden anderer Platten schon gelaufen, aber er passte so gut zum ruckartigen, in-medias-res-Einstieg, und The Pope mixte noch das Geräusch einer auf PVC-Boden fallenden Dollarmünze mit drunter, zur Unkenntlichkeit verknappt. (O-Ton The Pope : »Die fallende Münze prallt gegen den Tonarm und bringt den Hörer um den Genuss des langsamen Einführens.« O-Ton Utah: »Deine Technik ist manchmal richtig schweinisch.«)
Floyd übrigens war unzufrieden mit einigen der fertig abgemischten Tracks, und richtig sauer war er wegen ›Legless Bird‹. »Das bin nicht mehr ich«, sagte er nur immer wieder, und »Das ist nicht das, was ich höre, wenn ich an dieses Lied denke.« The Pope versicherte ihm, dass er live noch zur Genüge genau das spielen könne, was er höre und denke, im Studio sollte er aber dem Urteil erfahrener Fachleute vertrauen. Utah, die mit The Popes Endergebnissen unter anderem auch deshalb zufrieden war, weil sie ihr neue Möglichkeiten aufgezeigt hatten, wie das vorhandene Material noch klingen konnte, schaffte es, Floyd wieder zu beruhigen. Sinngemäß sagte sie, The Pope habe recht, sie seien eine Live-Band, und das hier, das Album, sei nun mal eine völlig andere Kunstform, die völlig anderen Gesetzmäßigkeiten gehorche. Außerdem solle Floyd sich an ›Market‹ und ›Sleep‹ halten, die seien noch Floyd pur. Das tat er dann auch. Er hatte Probleme damit zu verstehen, warum ihm trotz fünftägigen Einführungskurses in die Materie der Aufnahmetechnik dennoch die meisten Beweggründe für nachträgliche Soundveränderungen völlig schleierhaft und unmotiviert blieben, aber er folgte Utah aufs Wort. Er hielt sich an ›Market‹ und ›Sleep‹ fest wie Linus an seiner Schmusedecke und zwang sich zu so etwas wie Stolz auf das Geschaffene.
Das Endergebnis brachte die zehn Songs ›Goodbye‹, ›Market‹, ›Legless Bird‹, ›Zeroes‹, ›Word Is Soul‹, ›Sleep‹, ›Man Is Where the Money Is‹, ›Ten Candles‹, ›Grey‹ und ›Implication Storm‹ in genau dieser Reihenfolge und in einer Gesamtspieldauer von 56:41 Minuten; ein Fotograf, der nur ein Achtel von dem kostete, was Bosco verlangt hatte, arrangierte und machte das karge Titelbild mit dem vollgepackten Einkaufswagen und noch ein paar stimmige Bandfotos in kontrastierend ländlicher Umgebung, und mit dem Anschub des mittlerweile schon ganz gut angekommenen ›Goodbye‹ erblickte Ripcage pünktlich am 2. Januar das Licht der Welt.
Die Werbekampagne dazu empfahl all jenen, die nicht wussten, wie sie sich in den Unbillen des täglichen Daseins in der Ersten Welt zu verhalten hatten: Fuck Your Right to Remain Silent! , und offenbarte nicht mehr über die Band als die fadenscheinig verschwommenen Lettern MBMI auf einem granitharten Untergrund.
Der Eintritt in das Klangspektrum des milchverschlierten blauen Globus wurde begleitet vom Rauschen des Blätterwaldes, das wie Applaus klingt, wenn man die Augen schließt.
Der fünfte von zwölf Rhythmen
Wir öffnen die Pressemappe.
Da gibt es natürlich mittlerweile viel Material. Viel zu viel, als dass man dem in unserem kleinen Rahmen gerecht werden könnte. Also eine Auswahl. Drei Rezensionen von Ripcage , jede aus einem anderen Land, jede aus einer Zeitschrift, die in ihrem jeweiligen Land als Maßstab des Anspruchs von Musikjournalismus gilt.
Anschließend das Interview einer nicht sehr auflagenstarken, aber engagierten Musikzeitschrift aus Ohio, der Heimat von Loud Chameleon
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