HalbEngel
nachvollziehbares Seil, an dem sich die beiden und jeder normalsterbliche Zuhörer entlangziehen. Floyd bringt sogar ein paar gestöhnte und vorher auswendig gelernte Worte unter, variiert dann ihre Bedeutung und knurrt irgendetwas über erodierte Namen, die mit gedrehten Drähten unterm Honig kleine Farne bleichen, oder so ähnlich. Der Berg oder die Tiefe oder der blizzardspeiende Himmel oder was immer Floyd und Utah in unserer Bergsteigermetapher darstellen, wird schließlich zornig und schüttelt die Fremdkörper ab. In Minute sieben verschwinden deshalb Bass und Drums wieder vom Markt und schaffen flüchtend einer wirklich heftigen, wirklich lauten elektrischen Kopulation Bahn, die alles entweder einbezieht oder vernichtet. Floyd und Utah fordern sich gegenseitig heraus, reizen sich hoch bis zum Bankrott, imitieren sich dann spielend wie rundliche Fuchswelpen, schießen in synchronen Bobbahn-Kristallisationen dahin. Von Minute zehn bis Minute elf kopiert Utah Nicks Rhythmus und Floyd Halls Bass, und in Minute vierzehn ist dann der letzte zufällige Nachton der letzten sägenden Rückkopplung verhallt.
Die Band verharrt im Dunkeln und wagt nicht, sich zu bewegen, damit das marodegebohrte Weltgebäude nicht zum Einsturz kommt.
The Pope , der gerade den Traum geträumt hat, mit diesem Song das Album zu eröffnen, regelt langsam alle Lichter hoch, und der Bann verweht.
Stork schüttelt den Kopf, hadert (»absoluter Irrsinn, das ... hat mir vier Plugs rausgehauen ...«), der Cidre-Lieferant tanzt zwischen den übrigen Mitarbeitern und Schaulustigen umher und geht sich Autogramme sichern. Der Schlagzeuger von Lizard Soul steht da hinten zwischen den anderen, blickt zu The Pope rüber und nickt grinsend. The Pope nickt zurück. Keine Chance, damit das Album zu eröffnen. Nicht in dieser Welt. Sletvik wird das nicht zulassen. Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich es nicht wenigstens auf Nummer Zwei kriege.
Nick übrigens ist unzufrieden und will die Aufnahme wiederholen (»Ich wusste ja überhaupt nicht, wie ich einsteigen sollte ... hatte überhaupt keinen Anhaltspunkt ... hätte ja theoretisch alles machen können ... vom Bossanova bis zum Slow Waltz ... aber sollte doch besser ein Song der Band sein ... nicht von meiner einzelnen Entscheidung abhängig ...«), und zum ersten Mal merkt The Pope , dass auch Nick Denning im Vergleich zu Floyd Timmen und Utah McAllison nur ein musikalischer Zwerg ist, der nichts versteht, selbst dann nicht, wenn er mitten drin steckt.
Ripcage . Der Titel des Albums wird Ripcage sein.
Und das war es. Der nassgeschwitzte Stork zwingt sich zur Ausgelassenheit und köpft die ersten Hard Ciders in umsichtiger Entfernung von allen feuchtigkeitsempfindlichen Armaturen.
Der Blick, den Floyd, als er aus dem Aufnahmeraum kommt, The Pope zuwirft, ist eine höhnische Kampfansage an den Rest des Kosmos.
4. Oktober.
Als Mel Sletvik an diesem Morgen persönlich im Studio aufkreuzt, um den Abschluss »seiner« Aufnahmen mitzuverfolgen, ist er verständlicherweise entrüstet darüber, dass die Band als solche schon gar nicht mehr vorhanden ist. Floyd und Utah hängen zwar noch irgendwo im Studio herum, probieren dies und das mal aus und stören erwachsene Menschen beim Brötchenverdienen; Halloran jedoch – der Merle mittlerweile gedumpt hat – macht irgendwo in der Innenstadt an einer weißblechblonden Pussy rum (»Ich bin der Bassist von MERrrrCANTILE BAyyySE mmmMETAL INDEX ...«), und Nick nimmt einen Termin beim Ohrenarzt wahr, der ihm ernsthaft rät, sich von Rockmusik fernzuhalten.
Also lässt Sletvik sich wenigstens von Stork und The Pope die Masters vorführen, nickt ganz gut mit und sagt hinterher, wenn The Pope der Meinung ist, dass es gut ist, muss es wohl so sein. The Pope und Sletvik sehen sich zehn Sekunden schweigend an, dann schreien sie los und drehen sich in tanzender Umarmung durch den ganzen Raum. Stork bleibt wieder nur, den Kopf zu schütteln.
Natürlich hat Sletvik noch ein paar feste Vorstellungen. ›Goodbye‹ soll unbedingt als erster Song aufs Album, ›Market‹ kann dann seinetwegen Nummer zwei sein, aber nur, wenn die ersten drei Minuten runtergenommen werden. Schluss muss sein mit ›Implication Storm‹. Dazwischen und ansonsten überlässt er es dem Papst.
The Pope findet die Idee, ›Market‹ auf elf Minuten zu kürzen, gar nicht schlecht, weil es dem unvorbereiteten Hörer den Einstieg erleichtert und ihn dann umso gnadenloser gegen Ende in
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