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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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nähert, aber das ist okay so. Die Show pur. Relativ wenig Licht im Vergleich zu so manch anderer chartsmäßig aufgepumpter New-Hope-Band, aber viel Auslauf im Verhältnis zu den bis zuletzt immer verkrümmt introvertierten Heroen der zu Grabe geschossenen Grunge-Ära.
    Die Roadies wimmeln, als gälte es ihr Leben.
    Die Menge rast. Gute Arbeit der Vorband.
    Die Umbaupause soll so kurz wie möglich sein.
    Halloran Drood tanzt mit Sister Morphine.
    Am Bühnenrand, fast wie in einem Theater, steht der Manager Wayland Donelli und wischt sich – ein moderner Pilatus – die schweißfeuchten Hände an einem zitrusaromatisierten Erfrischungstuch ab, das im Neujustieren der Spots kurz phosphoreszierend aufleuchtet.
    Utah McAllison geht nervös rauchend auf und ab. Die Vibrationen des Gesamtgebäudes kitzeln ihre Rezeptoren auf das Unerträglichste hoch, sie ist kurz davor, die Nerven über Bord springen zu lassen. Sie schaut zu Nick Denning rüber, aber der ist keine Hilfe, denn er ist die Ruhe selbst. Er hält in jeder Hand einen Drumstick und beide vor der Brust gekreuzt, die Augen geschlossen. Er meditiert oder betet oder macht sonst einen Jazz-Age-Scheiß. Sie hasst ihn in diesem Moment. Er ist so wenig Teil ihrer Welt, wie kann er sich da anmaßen, Teil dieser Band zu sein, die ihr die Welt bedeutet?
    Sie hält es nicht mehr aus und geht auf die Suche nach Hall und Floyd, die beide aus dem Bandraum getürmt sind, um allein zu sein. Sie findet Hall in einer kleinen Umkleidekabine und ertappt ihn dabei, wie er sich gerade einen Schuss setzt. Kein Heroin, beteuert er mit fast nicht mehr existierenden Pupillen, nur ein bisschen Designerspeed aus Al Capones Notapotheke. Es ist der Druck, das musst du verstehen, das sind so unglaublich viele Leute da draußen, und die Augen der Kameras bringen jeden noch so kleinen Fehler in noch mal so viele Millionen Videorecorderwohnzimmer rein, da muss man die Ruhe sein, schließlich ist er der Bassman, das A und O. Bass Mental Index. Utah sagt ihm, dass er sich nicht verrückt machen soll, und kommt sich dabei vor wie ein Waldbrand, der einem Lagerfeuer rät, nicht zu viel Rauch zu machen. Sie überlegt kurz, welchen Nutzen und Schaden ein liquider Speedball auf ihr Spiel haben könnte, aber Donelli hat ein Drogenverbot erteilt, und – was viel, viel wichtiger ist – auch Floyd ist absolut gegen Drogen, Musik ist Droge genug, sagt er immer, nur wenn du wirklich im Vollbesitz deiner sinnlichen Fähigkeiten bist, kannst du zwischen Tönen high werden. Worauf zu antworten wäre, ob nüchterne Menschen wirklich im Vollbesitz ihrer sinnlichen Möglichkeiten sind, aber bitte keine Grundsatzdiskussionen jetzt, wir sind hier mitten im Krieg, für so was ist jetzt keine Zeit. Sie rennt los, auf der Suche nach Floyd. Die Eingeweide des Ungetüms rumoren.
    Mehrere mit Backstagepässen tapezierte Gestalten können ihr nicht weiterhelfen, schließlich aber findet sie Floyd allein. Er ist hinter den Bühnenaufbauten, nur durch eine schmale Gipswand auf Rollen von den zehntausend Vampiren entfernt, und als er sie sieht, lacht er. Er ist bester Laune. »In fünf Minuten fangt ihr an, Utah«, sagt er. »Die Jungs sind fast fertig.«
    Fünf Minuten! Einen gemeineren Tiefschlag hätte er ihr gar nicht verpassen können. »Wie kannst du so ruhig sein? Du und Nick, ihr macht mich noch wahnsinnig! Ich sterbe fast vor Angst!« »Angst wovor?«, fragt er, umarmt sie, hält sie fest. Jetzt erst fängt sie tatsächlich an zu zittern. »Wir können nicht verlieren«, sagt er über den Lärm hinweg. »Heute sagen wir die Wahrheit, und wenn sie uns hinterher hassen oder töten, können wir uns wenigstens nicht mehr vorwerfen, als Heuchler gestorben zu sein. Wir werden heute, hier, auf der anderen Seite dieser lächerlichen Wand, weiter gehen als alle Menschen zuvor. Wir werden weiter weg sein als Neil Armstrong und tiefer drinnen stecken in ihnen als ihre eigenen ungeborenen Babys.«
    Sie küsst ihn und denkt einen Moment an Sex, jetzt, hier, jenseits der Bühne, aber sie haben nur noch fünf Minuten, das würde ihnen nicht reichen, und außerdem weiß sie ja nicht, ob es nicht vielleicht sogar Floyd ist, vor dem sie Angst hat.
    Das Klatschen und Tosen und Lärmen der Masse wird jetzt rhythmisch, denn ein Roadie nach dem anderen verlässt die Bühne. Es muss bald losgehen. Die Masse hat gerade genug Verstand, um das zu berechnen. Oder vielleicht gar keinen Verstand: vielleicht nur die antrainierte Erfahrung

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