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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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Erschreckende daran war: Sie waren alle unglaublich schlecht. Aber man konnte Geld damit machen. Es war eine reine Marktfrage, so einfach zu durchschauen, dass man nur drüber lachen konnte. Na ja, so gründete ich eben die hunderttausendunderste hundsmiserable Band der Welt. (Lacht.) Aber dann passierte so langsam etwas, einige Dinge änderten sich. Die Plastik-Achtziger starben den würdelosen Tod, den sie verdient hatten, und am Ende dieses Jahrzehnts tauchten plötzlich völlig neue Möglichkeiten auf. Die Umverteilung von Produktionsmitteln in der Musik, junge Schwarze aus den Ghettos, die merkwürdigerweise plötzlich viel anspruchsvollere Musik machten als die ganzen neutönerischen Weißärsche auf dem Kontinent oder sonst wo. Das raue, sexuelle Genie der Siebziger wurde wiederentdeckt, plötzlich war »digital« wieder scheiße, und das war wirklich gut so. Ich fühle mich in den Neunzigern viel wohler und viel mehr zu Hause als in den Achtzigern, in denen ich doch eigentlich groß geworden bin. Na ja, und parallel zu all dem entdeckte ich auch in mir drin so Gefühle und Gespüre für Musik, die ich in meiner Kindheit teilweise schon hatte, die dann aber durch den ganzen Scheiß mit der Schule und dem Einschlagen eines normal vorgezeichneten Lebensweges und so vollkommen zugeschüttet worden waren.
    Deine Großmutter hat mir mal erzählt, dass du schon als Achtjähriger ein Faible für den Klang von Kirchenglocken hattest.
    Das hat sie dir erzählt? Na alle Achtung, du hast deine Hausaufgaben ja gemacht. Aber sie hat dir leider was Falsches erzählt. Ich war sieben, als die Sache mit den Glocken passierte. Das hat mein Gehör für immer verändert. Mit acht lauschte ich den Klängen von Zimmern.
    Den was?
    Den Klängen von Zimmern. Jedes Zimmer, jeder Raum in einem Haus macht dich anders durch deinen Herzschlag und dein Atmen. Das liegt daran, dass alle Zimmer nicht nur unterschiedlich geschnitten, sondern auch völlig verschieden möbliert sind. In zwei verschiedenen Räumen bist du nie derselbe, und nichts klingt identisch. Das wirkt sich auch komisch auf Persönlichkeiten aus. Manche Leute schieben das auf Wasseradern oder Vollmond oder Holzschutzmittel oder irgendeinen anderen chemischen Kram, aber das ist natürlich alles völliger Quatsch. Es sind die Ohren und die Gleichgewichtsorgane da drin, die bestimmen, wer du bist, was du wirst und was du als Nächstes tun wirst. Ich habe das mit acht Jahren erkannt. Aber davon konnte Grandma dir nichts erzählen, denn das hat sie nicht mitbekommen können. Dass der kleine Floyd mit geschlossenen Augen mitten in einem Zimmer steht und den Atem anhält, konnte sie ja wohl kaum auf die Idee bringen, dass ich gerade dabei war, Bewusstseinsebenen von mir zu stoßen wie eine Rakete ihre Antriebsstufen oder eine Schlange alte Haut.
    Gab es noch andere ungewöhnliche Verhaltensweisen des jungen Floyd?
    Na ja, ich weiß nicht, ob das besonders ungewöhnlich ist – wahrscheinlich nicht –, aber ich habe angefangen, mich für Tiere zu interessieren. Besonders für Vögel, die Art und Weise, wie sie sich in die Luft schwingen können und sich da oben halten, oder wie sie es fertigbringen, auf einem Zaundraht oder einem hauchdünnen Ast zu landen, ohne abzurutschen oder danebenzugreifen. Ich habe noch nie einen ungeschickten Vogel gesehen, du etwa? Okay, man sagt, dass Albatrosse schlecht landen können, aber dafür sind sie die Könige der Lüfte.
    Sie sind die ›Legless Birds‹.
    Könnte man so sagen, ja. Weißt du, diese Sache mit den Tieren hat mich immer fasziniert. Was sie alles können. Einige können viel besser sehen als wir, die meisten können viel besser riechen, und am meisten beneidet habe ich natürlich immer die, die so unglaublich gut hören können, und das sind viele. Hunde, Katzen, Fledermäuse, alles Mögliche. Sie sind so viel besser als wir Menschen, und dennoch haben wir uns das Recht genommen, dafür zu sorgen, dass sie auf diesem Planeten nicht mehr leben können. Sie sterben uns alle weg, und wir, die wir die Hässlichsten und Unfähigsten von allen sind, bleiben alleine übrig.
    Hast du dir schon mal gewünscht, ein Tier zu sein? Ein Albatros vielleicht?
    Mit Flügeln, sicher. Das hat mich schon immer beschäftigt. Ein Tier sein, hmm. Leider glaube ich nicht an den ganzen Wiedergeburtsquatsch. Eines jedoch steht fest: Tiere wissen, wie man lebt. Sie zerbrechen sich nur den Kopf ums Futter und wo es warm ist im Winter, und ein- oder zweimal

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