Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
Schwitzflecken unter dem Jackett gehabt zu haben, aber er konnte sich auch nicht daran erinnern, jemals vorher ein Jackett getragen zu haben.
    Diesmal sollte alles eine Überraschung sein. Man wusste vorher nicht, ob man gewinnen würde. Das war wohl so gedacht, dass es spannend sein sollte. Von vorneherein war es Floyd diesmal nicht gelungen, zusammen mit Utah und Nick und Hall einzurollen, irgendwas war da schief gelaufen, er konnte nur hoffen, die drei im Trubel da drinnen irgendwie wiederzufinden. Jedenfalls hatte er aus seinem ersten nervösen Auftritt als Preisentgegennehmer gelernt: Diesmal würde er sich nicht in einer verdammten Yuppiekluft zum Trottel machen, diesmal ging er mit Jeans und grobem Pulli rein. Die Leute hier waren deutlich jünger – also wohl doch MTV – und kreischten und warfen mit Popcorn oder Scrambled-Egg-Stückchen oder was immer das war. Drinnen war es ein paar Sekunden lang in einem Durchgang dunkel und still, dann öffnete sich vor und unter ihm eine Art vollbesetztes Amphitheater wie eine Pech- und Schwefelgrube hyperaktiven Irrsinns. Eine schwitzende Balletttruppe tobte über eine rutschige Bühne, und ein gewaltiges Gedöns schepperte aus riesigen Rundumlautsprechern. Überall schossen Kamerakräne durch die Luft wie Fluggleiter aus einem Science-Fiction-Film. Halbprominenz zeigte sich grinsend und arschwackelnd in buntperforierten Spotlights. Floyd wurde von bestgelaunten Frauen in Lackkostümchen eingewiesen. Wayland Donelli tauchte, mit zurückgeworfenem Kopf aus voller Kehle lachend, kurz vor Floyd auf und verschwand dann in Verzerrung nach rechts. Neue Smartdrink-Reklamen flammten über und ergossen Silberregenfeuerwerk über das aaaaaahende Publikum. Jemand schrie, er habe soeben Michael Jackson gesehen, und kollabierte anschließend. Halloran stand ein paar Stufen tiefer bei ein paar schwarzen Schönheiten aus irgendeiner Girl Group und plauderte angeregt. Dorthin orientierte sich Floyd, von dort versuchten die Lackfrauen ihn aber abzudrängen. Auf halbem Weg sah Floyd Utah winken, sie sah fast wie eine Ertrinkende in einem Konfettimeer aus. Floyd ließ sich von den Lackfrauen einfangen, umgarnen, bezirzen, in Utahs Richtung schieben. Riesige Videowände gerieten in Bewegung, strahlten hochbeschleunigte Jeans- und Parfum-Commercials ab. Explosionen rollten durch die Halle, als ob irgendwo eine putschende Armee sich Einlass erbomben würde. Wieder flirrten Tänzer durch die Gegend, progressive Gitarrensägen lallten durch Trockeneisnebel und Lasershow-Gewabere hindurch. Der Lizard King ging zugedröhnt an Floyd vorbei nach oben. Die Explosionen entpuppten sich als Dub-Beats. Floyd bekam Utahs ausgestreckte Hand zu fassen, sie zog ihn zu sich in die Sitzreihe, sie umarmten sich kurz, und dann kam Floyd zu sitzen, genau neben einer mächtig angesagten Band, die aus winzig kleinen, trotzig verschlossenen Neo-Neo-Punks bestand.
    Die Show begann.
    Teenager zappelten mit fettglänzenden Gesichtern auf der Bühne herum und entpuppten sich als die Gastgeber des heutigen Abends. Floyd hatte sie schon mal gesehen, sie waren wohl bekannte VJs. Sie munterten in sinnfreier Rede umher, und die meisten Leute hier amüsierten sich wirklich gut. Lustig fand Floyd, dass er in den Sitzreihen ringsum tatsächlich ein paar berühmte Gesichter erkennen konnte. Die ganzen Popstars so da rumsitzen zu sehen war irgendwie eigenartig, so als sähe man sie bei etwas, was man eigentlich nicht zu sehen kriegen sollte. Andererseits waren sie alle aber geschminkt und teuer frisiert und wollten gesehen werden. War eine Kamera auf sie gerichtet, lächelten sie breit. Andere, langhaarige Newcomer, rotzten demonstrativ, wenn sie eine Kamera entdeckten, popelten, kratzten sich am Arsch oder zeigten den Finger. Floyd gewann den Eindruck, dass es für sie alle sehr harte Arbeit war, ihr Image aufrechtzuerhalten. Sie mussten immer auf der Hut sein, immer bereit sein, den Bauch einzuziehen. Unten bekamen affektierte Pop-Clowns Preise. Jeder Award wurde von einem anderen Pärchen überreicht, einige davon waren vorher bereits selbst als Preisträger auf der Bühne gewesen. Floyd fragte sich, warum die da unten eigentlich noch so was wie ein Publikum brauchten. Sie konnten sich sicherlich tagelang damit beschäftigen, sich gegenseitig Awards zu überreichen.
    Eine Kamera war jetzt voll auf ihn gerichtet, er vergaß zu reagieren. Stattdessen starrte er gebannt sein eigenes staunendes Gesicht auf den Bühnenmonitoren

Weitere Kostenlose Bücher